vonRedaktion Salzburg
JÄNNER 21, 2021
Landesenquete „Hinschauen, handeln und Schutz bieten! Gewalt an und Gewaltprävention für Menschen mit Behinderung“
Ein nicht nur in Pandemiezeiten mit entsprechenden Ausgangsbeschränkungen aktuelles, aber gerade deshalb auch umso dringlicheres Thema wurde in der gestrigen Landesenquete besprochen und diskutiert. Und das Motto ist Programm: „Hinschauen, handeln und Schutz bieten! Gewalt an und Gewaltprävention für Menschen mit Behinderung“.
Basierend auf der vom Sozialministerium beauftragten Studie, die Gewalterfahrungen von Menschen mit Behinderungen erhob und auf wissenschaftlicher Grundlage Präventionsmaßnahmen ableitete, hatten ExpertInnen, Betroffene und Interessierte die Möglichkeit, digital an der Enquete teilzunehmen, Referate mitzuverfolgen und via E-Mail, Telefon oder Videotelefonie für gehörlose Menschen ihre Fragen zu formulieren und ihre Anliegen einzubringen. „Geleitet vom Credo ‚Nothing about us without us‘ habe ich mich dazu entschlossen, die Enquete mit größtmöglicher Niederschwelligkeit und den verschiedensten Möglichkeiten der Partizipation durchzuführen. Bei der digitalen Enquete konnten gleich zwei maßgebliche Ziele erreicht werden: Einerseits die Abhaltung dieser so wichtigen Veranstaltung trotz Lockdowns und andererseits die Möglichkeit der aktiven Teilhabe eines großen Personenkreises“, betont Soziallandesrätin Gabriele Fischer.
Studienergebnisse zeigen hohes Gewaltrisiko
Besagte Studie „Erfahrungen und Prävention von Gewalt an Menschen mit Behinderungen“ unterstreicht und präzisiert das deutlich höhere Gewaltrisiko, dem Menschen mit Behinderungen ausgesetzt sind: Mehr als acht von zehn befragten Personen berichteten, bereits zumindest einmal (häufig aber auch öfter) im Leben eine Form psychischer Gewalt erfahren zu haben, sechs von zehn Befragten auch schwere Formen psychischer Gewalt.
Knapp acht von zehn der befragten Personen gaben an, schon körperliche Gewalt erfahren zu haben, davon vier von zehn nannten auch schwere Formen körperlicher Gewalt.
Meist wurde die Wohnung bzw. das Haus der Eltern als Ort psychischer und körperlicher Gewalterfahrungen genannt – und die Eltern, aber auch andere Familienmitglieder als gewaltausübende Personen. Auch in Einrichtungen mit Wohn- und/oder Tagesstruktur ging häufig psychische und körperliche Gewalt von MitbewohnerInnen bzw. anderen KlientInnen aus. Zudem ist die Schule ein Ort erhöhten Gewaltrisikos, vor allem SchulkollegInnen wurden als TäterInnen angegeben. Psychische Gewalt durch unbekannte Personen im öffentlichen Raum wurde auch vergleichsweise häufig genannt, und zwar insbesondere von Personen in Einrichtungen der Behindertenhilfe.
Was sexuelle Belästigung und Gewalt betrifft, berichteten fünf von zehn befragten Personen, dass ihnen sexuelle Gewalt in ihrem Leben bereits widerfahren sei, ein Drittel der interviewten Personen nannte auch schwere sexuelle Gewalt („hands on“), wobei der Anteil von Frauen signifikant höher ist.“. Gefragt nach „Tatorten und TäterInnen“ sexueller Belästigung und Gewalt, werden häufig MitbewohnerInnen im institutionellen Wohnangebot, aber auch andere KlientInnen in der Tagesstruktur angegeben. Vor allem Frauen nannten Personengruppen aus dem privaten Wohnumfeld wie frühere Partner, den eigenen Vater, aber auch Bekannte bzw. Nachbarn als Täter. Nicht unwesentlich sind in der Aufzählung auch unbekannte oder nur flüchtig bekannte Personen, wenn sexuelle Übergriffe bzw. Gewalt an öffentlichen Plätzen und in halböffentlichen Räumen wie Lokalen oder Diskotheken stattgefunden haben.
Präventions- und Interventionsmaßnahmen
„Die Studie belegt, dass aus einer von Lieblosigkeit, Vernachlässigung und Gewalt geprägten Kindheit eine lebenslang höhere Verwundbarkeit gegenüber Personen mit Gewaltabsichten bzw. bei Gewalt begünstigenden Rahmenbedingungen resultiert“, fasst Studienautorin Hemma Mayrhofer vom Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie zusammen. Um dem entgegenzuwirken, seien Präventions- und Interventionsmaßnahmen auf der einen, sowie adäquate und ausreichende (trauma-)therapeutische Unterstützungsangebote zur Aufarbeitung der Folgen von Gewalterfahrungen in der Kindheit auf der anderen Seite vonnöten. Auch Prävention und Intervention sowie Nachbearbeitung von Gewaltvorfällen in der Schule – auch mit Fokus auf Gewalt gegenüber Kindern mit Behinderungen – komme große Bedeutung zu. „Was die Gewalt durch andere Bewohnerinnen und Bewohner oder Klientinnen und Klienten in Einrichtungen der Behindertenhilfe betrifft, sind nicht nur ausreichend Personal, sondern auch personenzentrierte Betreuungskonzepte zur Verhinderung von Gewalt vonnöten“, so Mayrhofer, die gezielte Bewusstseinsbildung und Sensibilisierung bei Menschen mit Behinderungen bzw. psychischer Beeinträchtigung sowie bei MitarbeiterInnen und UnterstützerInnen als wesentlichen Baustein zur Gewaltprävention nennt. Ein differenziertes Netzwerk sozialer Kontakte und mehrere Personen, die als Ansprech- und Vertrauenspersonen fungieren, stellen weitere wichtige Schutzmaßnahmen gegen Gewalt dar.
Maßnahmen auf Landesebene
„Gewaltprävention und Gewaltschutz fließen in alle Bereiche des Lebens mit ein – so auch in Themen der Behindertenhilfe. Die UN-Behindertenrechtskonvention, die von Tirol umgesetzt werden muss, stellt klar, dass alle geeigneten Maßnahmen zu treffen sind, um Menschen mit Behinderungen vor jeder Form von Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch, einschließlich ihrer geschlechtsspezifischen Aspekte, zu schützen“, betont LRin Fischer und verweist auf die Notwendigkeit eines entsprechenden Aktionsplans, der auch im Tiroler Antidiskriminierungsgesetz verankert ist. „Für die Erstellung des Tiroler Aktionsplanes ist – analog zur Enquete – ein breiter digitaler Beteiligungsprozess in Planung. Denn nur so können die Anliegen aller Beteiligten entsprechend miteinfließen.“
„Im Tiroler Teilhabegesetz ist Gewaltprävention gesetzlich verankert. Das ist ein wichtiger Schritt,“ so Ludwig Plangger, Obmann der argeSODiT, dem Dachverband der Organisationen für Menschen mit Behinderungen. „Alle Leistungsanbieter haben, unabhängig von ihrer Größe, Gewaltschutzkonzepte erarbeitet und leben diese auch.“ Die Einbindung der Betroffenen ist dabei ein wichtiges Element, um die Konzepte in ihrem Sinne umzusetzen.
Für 2021 kündigt Tirols Soziallandesrätin auch einen Fokus auf Inklusives Wohnen und Arbeiten an: „Wir arbeiten dabei eng mit anderen Einrichtungen wie beispielsweise der Beratungsstelle WIBS zusammen – diese Einrichtung von und für Menschen mit Lernschwierigkeiten liefert wertvolle und praxisnahe Vorschläge für die Ausgestaltung der inklusiven Angebote der Behindertenhilfe.“
Quelle: Land Tirol