vonRedaktion Salzburg
SEPTEMBER 01, 2021
InnsbruckerInnen wissen selbst am besten, wie ihr Wohn- und Lebensraum erhalten und positiv gestaltet werden soll. Im Rahmen der BürgerInnenbeteiligung holt die Stadtpolitik ihre ExpertInnen vor Ort mit ins Boot.
Was bedeutet BürgerInnenbeteiligung in der Praxis, wie bewegt man die Bevölkerung dazu, sich aktiv mit ihrem Umfeld auseinanderzusetzen und was hat die Stadtpolitik davon? Im Doppel-Interview nehmen Bürgermeister Georg Willi und die Leiterin der Geschäftsstelle Bürgerinnen- und Bürgerbeteiligung, Mag.a Dr.in Elisabeth Meze, MSc, dazu Stellung und sprechen über Themen wie Demokratie im Kleinen oder überhöhte Erwartungshaltungen.
Warum ist es für Innsbruck wichtig, dass sich BürgerInnen in die Stadtpolitik einbringen?
WILLI: Wichtig ist, dass jedes Stück Stadt, das wir entwickeln oder bauen, rückgekoppelt wird mit der Bevölkerung, die von diesen Maßnahmen betroffen ist. Wenn zum Beispiel das Amt für Grünanlagen einen neuen Spielplatz gestaltet, dann werden die Kinder – also die, die das nutzen – eingeladen und gefragt, wie dieser Spielplatz ausschauen soll. Zum einen nutzt man also die Kompetenz der BürgerInnen vor Ort, zum anderen identifizieren sich die Leute mehr damit, wenn sie etwas mitgestalten können.
MEZE: Viele Umsetzungsprojekte haben eine sehr lange Lebensdauer und berühren BürgerInnen in ihrem unmittelbaren Alltag, ob es die Führung eines Radweges, eine Platzgestaltung oder die Ansiedlung einer Institution betrifft. Wenn man bei der Entwicklung in gewissen Bereichen miteingebunden wird, ist das ein Mindestmaß an Wertschätzung. Damit wird auch sichergestellt, dass öffentliche Gelder, die indirekt auch von den BürgerInnen kommen, in einvernehmlicher Weise verwendet werden.
BürgerInnenbeteiligung ist ein schönes Schlagwort. Was bedeutet es konkret?
WILLI: Zum Beispiel planen wir in der Michael-Gaismair-Straße die Schräg- in Längsparkplätze umzuwandeln, um Platz für einen Radweg und Bäume zu schaffen. Weniger Parkplätze „schmecken“ nicht allen. Aber der Wunsch nach einem schön gestalteten Umfeld neben dem Schulcampus Wilten ist ein sehr großer. Die Kunst ist es, die Leute positiv zu motivieren, dass wir mit allem, was wir tun, die Stadt ein Stück lebenswerter machen. Allerdings kann man darüber, was „lebenswerter“ bedeutet, trefflich streiten.
MEZE: BürgerInnenbeteiligung heißt Mut haben, sich engagieren und Verantwortung übernehmen. Es bedeutet auch, NachbarInnen unsere Hilfe anzubieten. Oder ein Gespräch mit ihr bzw. ihm zu beginnen, wenn uns ein Missstand ärgert, anstatt sofort die Polizei oder die MÜG anzurufen. Sich in Vereinen zu betätigen oder Lernhilfe anzubieten, ist soziale Beteiligung, eine Baumscheibe mit Blumen zu bepflanzen, zeigt Beteiligung an der Verschönerung des öffentlichen Raumes. Oder mit dem Rad statt mit dem Auto zu fahren, das ist ebenfalls Beteiligung für eine nachhaltige Verkehrswende. Es muss nicht unbedingt ein formeller Prozess sein, damit BürgerInnenbeteiligung in der Stadt stattfindet.
Manche Leute sagen, dass durch BürgerInnenbeteiligung wichtige Projekte unnötig verzögert werden. Was würden Sie darauf antworten?
WILLI: Die Leute sind klug genug. Sie wissen, dass es mehrere Meinungen gibt und man am Ende einen Kompromiss finden muss. Wir versuchen natürlich, Wünsche zu berücksichtigen, aber manches geht einfach nicht. Es gibt zum Beispiel Normen, die einzuhalten sind. Und wenn etwas nicht so umgesetzt werden kann, dann verstehen das die Leute auch.
MEZE: Gut moderierte Beteiligungsprozesse führen oft schon im Verlauf weniger Besprechungen bzw. Veranstaltungen zu konkreten Resultaten. Verzögerungen bei der Umsetzung haben erfahrungsgemäß andere Gründe, als BürgerInnen, die in Planungen miteinbezogen werden.
Welche Möglichkeiten der Mitsprache haben Kinder und Jugendliche in Innsbruck?
WILLI: Es gibt einen Jugendlandtag, ein Jugendparlament und zahlreiche Formate, bei denen Kinder und Jugendliche mitreden können. Letztlich ist die Wahl einer Klassensprecherin oder eines Obmanns im Sportverein nichts anderes als ein demokratischer Prozess, bei dem sich Leute für ein Amt bewerben und diskutiert wird, wer sie gut vertreten kann. Demokratie beginnt also schon sehr früh.
MEZE: Die Stadt versucht, Kinder und Jugendliche anlassbezogen einzubinden. Das heißt, sobald ein Kinder- oder Jugendthema auftaucht, wie die Sanierung oder der Neubau eines Sportplatzes, wird mit allen interessierten AkteurInnen nach Lösungen gesucht – etwa wenn es um geeignete Partyplätze geht, die für Jugendliche besonders in der Corona-Pandemie
wichtig sind.
Was ist eigentlich aus dem Beteiligungsprozess Pradl geworden?
WILLI: In Pradl ist schon einiges weitergegangen, vieles soll noch folgen. Wir müssen auch die Leute mitnehmen, die Widerstände gegen bestimmte Projekte haben. Oft ist die Erwartungshaltung einfach zu hoch. Viele meinen, wenn das Ergebnis einer BürgerInnenbeteiligung vorliegt, dann fahren morgen die Bagger auf. So funktioniert das aber in der Praxis nicht. Weil die Projekte erst im Detail geplant werden müssen, ein Budget zu erstellen ist und es dafür politische Beschlüsse braucht. Erst dann heißt es in der Regel: Das können wir machen, aber bitte Schritt für Schritt.
MEZE: Pradl hat seinen eigenen Stadtteilkoordinator bekommen, der BürgerInnen, Vereine und städtische Ämter vernetzt und sich für lokale Anliegen engagiert. Auch das Urban Gardening hinter der Pradler Kirche ist ein spannendes Vorzeigeergebnis aus dem Beteiligungsprozess. Andere Wünsche und Ideen mögen zwar auf den ersten Blick einfach in der Umsetzung wirken. Aber da viele verschiedene Bereiche wie Grünraum, Verkehr, Stadtplanung oder Tiefbau und unterschiedliche AkteurInnen wie Schule, Kirche und AnrainerInnen involviert sind, braucht es
komplexe Abstimmungen.
Das Interview führte Michaela Darmann.
Quelle: Stadt Innsbruck