vonOTS
JÄNNER 16, 2024
Genetische Vielfalt ist von entscheidender Bedeutung, damit sich Arten an den Klimawandel anpassen können.
Eine internationale Studie unter Beteiligung des Naturhistorischen Museums Wien zeigt, dass die derzeitigen Bemühungen zum Monitoring der genetischen Vielfalt in Europa unvollständig und unzureichend sind. Die Forschenden untersuchten dabei insbesondere jene Gebiete, die für die Anpassung an steigende Hitze und Trockenheit besonders wichtig sein könnten.
Jedes Lebewesen auf unserem Planeten unterscheidet sich von seinen Artgenossen durch Unterschiede im Erbgut. Diese genetische Vielfalt ist eine Voraussetzung dafür, dass sich Organismen anpassen können, wenn sich ihre Umwelt verändert. Ist das nicht möglich, muss die Art in andere Lebensräume abwandern oder stirbt aus. Genetische Vielfalt ist somit ein Schlüsselfaktor für das Überleben von Arten und grundlegender Bestandteil der biologischen Vielfalt. Dennoch wurde sie bislang oft vernachlässigt, und erst 2022 betonten die Mitgliedstaaten des internationalen Übereinkommens über die biologische Vielfalt (Biodiversitätskonvention, CBD) deutlich, wie wichtig der Schutz der genetischen Vielfalt wildlebender Arten ist.
Die globale Erwärmung ist einer der Hauptgründe für die Lebensraumveränderung vieler Arten in Europa, insbesondere dort, wo Lebewesen an ihre klimatischen Grenzen stoßen, weil es etwa zu heiß oder zu trocken wird. In den am meisten vom Klimawandel betroffenen Regionen sind Arten aber nicht nur besonders bedroht; hier ist die Wahrscheinlichkeit auch am größten, dass sich die für eine Anpassung nötigen genetischen Varianten durch entsprechende Selektion anhäufen. Diese ökologischen Randregionen können somit als Reservoir dienen, aus dem sich günstige Varianten durch genetischen Austausch in andere, später vom Klimawandel betroffene Teile des Verbreitungsgebietes ausbreiten können. Dies erhöht die Widerstandsfähigkeit einer Art insgesamt. Die Untersuchung der genetischen Vielfalt und ihrer Veränderung in solchen Randpopulationen im Rahmen eines genetischen Monitorings ist aus Naturschutzgründen daher besonders relevant.
Eine internationale Studie in Nature Ecology & Evolution hat jetzt analysiert, in welchen europäischen Ländern und für welche und wie viele Arten ein solches genetisches Monitoring durchgeführt wird. An der Studie waren 52 Forschende beteiligt, die 60 Universitäten und Forschungsinstitute aus 31 Ländern repräsentieren, darunter auch das Naturhistorische Museum Wien. Die Ergebnisse zeigen, dass entsprechende Bemühungen in Europa unvollständig sind und ergänzt werden müssen. Vor allem in Südosteuropa – insbesondere in der Türkei und auf dem Balkan – ist es nötig, mehr Arten zu analysieren, da diese Gebiete bisher unterrepräsentiert sind, gleichzeitig aber besonders vom Klimawandel betroffen sind und deshalb viele ökologische Randregionen mit Anpassungspotential beherbergen.
Auch taxonomisch waren die Monitoring-Programme sehr ungleich verteilt: «Wie erwartet fanden wir viele Untersuchungen zu großen Raubtieren wie Braunbär oder Wolf, also Arten, die besonders attraktiv und außerdem von politischer Relevanz sind. Vom Klimawandel werden sie als breit angepasste Generalisten aber weit weniger betroffen sein als etwa Amphibien und viele Baumarten wie beispielsweise Fichten oder Buchen. Letztere sind in Monitoring-Programmen jedoch deutlich seltener vertreten», sagt Frank Zachos, Co-Autor der Studie und Wissenschaftler am NHM Wien. Eine geographisch und taxonomisch ausgeglichenere Monitoring-Strategie sowie die gezielte und systematische Einbeziehung auch ökologischer Randgebiete und von Regionen mit besonders hoher Biodiversität wären ein wichtiger Beitrag, um unter Druck geratene Arten in Zukunft besser schützen zu können. Viele dieser Arten sind auch für den Menschen von großer Bedeutung, etwa bei der Bestäubung von Nutzpflanzen oder der natürlichen Schädlingsbekämpfung. In Anbetracht der jüngsten internationalen Abkommen zur Eindämmung des Rückgangs der biologischen Vielfalt, zu deren Unterzeichnerstaaten auch Österreich gehört und in dessen Biodiversitätsstrategie 2023 das Biodiversitätsmonitoring als eine wichtige Maßnahme genannt ist, weist die Studie auch darauf hin, dass eine bessere Überwachung der Arten und ihrer genetischen Vielfalt auf internationaler Ebene dringend erforderlich ist. So können die Raumplanung verbessert sowie Maßnahmen zur Sicherung und Wiederherstellung von Ökosystemen stärker berücksichtigt werden, was wiederum dazu beiträgt, den Fortbestand von Arten und der von ihnen erbrachten Funktionen für Menschen zu sichern.
Quelle:
Peter Pearman, Olivier Broennimann, […], Antoine Guisan and Mike Bruford. Monitoring species’ genetic diversity in Europe varies greatly and overlooks potential climate change impacts, Nature Ecology & Evolution, 2024. DOI: https://doi.org/10.1038/s41559-023-02260-0
Quelle: OTS