Gleichklang-Studie identifiziert drei Cluster der sexuellen Orientierung

vonOTS
SEPTEMBER 02, 2024

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Klassische Heterosexuelle, nonkonforme Heterosexuelle und queere Personen unterscheiden sich in ihren Beziehungserfahrungen, ihrer Persönlichkeit und ihren politischen Einstellungen

Die psychologische Dating-Plattform Gleichklang.de hat untersucht, wie sich unterschiedliche Formen der sexuellen Orientierungen gruppieren lassen und welche Unterschiede zwischen diesen Clustern in Bezug auf Geschlecht, Beziehungserfahrungen, Alter, Bildungsstand, Persönlichkeitsmerkmalen und politischen Einstellungen bestehen.

Die Studie wurde durch den Psychologen und Dating-Coach Guido F. Gebauer auf der Grundlage einer Umfrage unter 1207 Interessenten und Mitglieder der Gleichklang-Plattform durchgeführt. An der Umfrage beteiligten sich 579 Frauen, 602 Männer und 26 nicht binäre Personen im Alter von 19 bis 84 Jahren.

Die Ergebnisse zeigen, dass zwischen prototypischer Heterosexualität, nonkonformer Heterosexualität und einem queeren Spektrum unterschieden werden kann. Zwischen den Mitgliedern dieser drei Clustern bestanden signifikante Unterschiede in der Gestaltung partnerschaftlicher Beziehungen, der Persönlichkeit, den politischen Einstellungen, Bildungsstand, sowie der Alters- und Geschlechter-Verteilung.

Mehr als eine sexuelle Orientierung

In den meisten Umfragen wird die sexuelle Orientierung einfach dadurch erhoben, dass die Teilnehmenden sich als heterosexuell, homosexuell oder bisexuell einschätzen. Dabei können sie jeweils nur exakt eine sexuelle Orientierung auswählen. Diese Zwangsauswahl verengt jedoch die Ergebnisse und macht es unmöglich, Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen sich mehr oder weniger überlappenden sexuellen Orientierungen zu untersuchen.

Zudem wurden mittlerweile zahlreiche weitere Begriffe zur sexuellen Orientierung eingeführt, wie pansexuell, omnisexuell, skoliosexuell oder asexuell, die auf einen höheren Differenzierungsbedarf in dem Bereich der sexuellen Orientierung hinweisen.

In der aktuellen Studie wurden daher neben Heterosexualität, Homosexualität und Bisexualität auch Heteroflexibilität, Homoflexibililtät, Pansexualität, Omnisexualität, Skoliosexualität, Heteroflexibilität, Homoflexibilität, Asexualität und Gray-Asexualität eingeschlossen.

Außerdem wurden die Teilnehmenden nicht gezwungen, nur exakt eine sexuelle Orientierung auszuwählen, sondern sie beurteilten für alle erfragten sexuellen Orientierungen unabhängig voneinander, ob diese zutrafen, nicht zutrafen oder ob sie eine Offenheit für die entsprechenden Orientierungen bei sich verspürten.

Aufgrund dieses Untersuchungsansatzes war es möglich, sexuelle Orientierungen jenseits der vereinfachenden Dreiteilung in heterosexuell, homosexuell und bisexuell in ihrem komplexen Wechselspiel zu untersuchen und auf dieser Basis die Teilnehmenden mit statistischen Verfahren in unterschiedliche Gruppen einzuteilen.

Im Anschluss konnten die Unterschiede zwischen diesen Clustern bezüglich Beziehungserfahrungen, Persönlichkeit, politischen Einstellungen, Bildungsstand, sowie der Alters- und Geschlechter-Verteilung untersucht werden.

Hauptergebnisse

Drei Cluster der sexuellen Orientierung

Die statistische Auswertung zeigte, dass sich die Teilnehmenden anhand der individuellen Konfigurationen ihrer sexuellen Orientierungen in drei breite Gruppen unterteilen ließen, die inhaltlich benannt wurden als prototypische Heterosexualität, nonkonforme Heterosexualität und queeres Spektrum:

Unterschiede in Geschlecht, Alter und Bildungsstand

Die drei Gruppen unterschieden sich statistisch signifikant bezüglich ihrer Geschlechter-Verteilung:

Keine Unterschiede gab es zwischen den drei Clustern der sexuellen Orientierung im Bildungsstand.

Partnerschaftliche Beziehungen

Die Befragten machten ebenfalls Angaben zu ihren vorherigen oder aktuellen partnerschaftlichen Beziehungen. Es zeigten sich hier einige Unterschiede in der Beziehungsgestaltung:

Auch wenn sich die drei sexuellen Orientierungs-Gruppen in Beziehungserfahrungen, Persönlichkeitsmerkmalen und politische Einstellungen unterschieden, berichteten die Mitglieder aller drei Gruppen eine vergleichbare Beziehungszufriedenheit in ihren aktuellen oder vorherigen Partnerschaften.

Persönlichkeits-Merkmale

Unterschiede wurden zwischen den drei Gruppen auch in der durchschnittlichen Ausprägung von Persönlichkeits-Merkmalen sichtbar:

Politische Einstellungen

Außerdem bestanden zwischen den drei Clustern Unterschiede in ihren politischen Einstellungen:

Psychologische Interpretation

Gebauer erläutert, dass traditionell davon ausgegangen werde, dass Menschen jeweils nur eine sexuelle Orientierung haben. Mittlerweile haben sich aber Bezeichnungen für sexuelle Orientierungen immer weiter ausdifferenziert und können dabei erhebliche Überlappungsbereiche untereinander aufweisen. Außerdem seien viele traditionelle Begriffe der sexuellen Orientierung aufgrund der zwischenzeitlichen Anerkennung der Existenz nicht binärer Personen weniger eindeutig als zuvor.

Die Studienergebnisse zeigen laut Gebauer, dass auf einer mittleren Abstraktionsebene zwischen prototypischer Heterosexualität, nonkonformer Heterosexualität und dem queeren Spektrum unterschieden werden könne.

Die aktuelle Studie stütze damit gleichzeitig die Sinnhaftigkeit neuerer Begriffe der sexuellen Orientierung, die über die traditionellen Begriffe der Heterosexualität, Homosexualität und Bisexualität hinausgehen. Wären diese Begriffe nämlich nicht sinnhaft, wäre es nicht möglich gewesen, die Teilnehmenden statistisch in drei Gruppen zu unterteilen, deren Besonderheiten sich jeweils gut inhaltlich verstehen und interpretieren ließen.

Es sei daher davon auszugehen, dass die neuen sexuellen Orientierungen, die begrifflich in den letzten Jahren eingeführt worden seien, tatsächlich bedeutsame Komponenten der Sexualität widerspiegeln.

Bezüglich der Interpretation der resultierenden Gruppierung führt Gebauer aus, dass die prototypische Heterosexualität als einzige der drei Gruppen im Wesentlichen dem traditionellen heterosexuellen Modell einer einzigen sexuellen Orientierung mit einer intensiven sexuellen Anziehung von Männern allein durch Frauen und von Frauen allein durch Männer entspreche.

Selbst dies sei aber nicht für alle Mitglieder des Clusters prototypische Heterosexualität zutreffend, da manche prototypischen Heterosexuellen dennoch offen für Heteroflexibilität seien. Allerdings habe diese als potenzielle Option für die betreffenden Personen eine so geringe Bedeutsamkeit, dass sie nur minimal aus dem traditionellen heterosexuellen Raster herausfallen.

Mit den nonkonformen Heterosexuellen trete nun eine weitere Gruppe vorwiegend heterosexueller Personen hinzu, die der traditionellen heterosexuellen Norm nicht mehr entsprechen.

Diese nonkonformen Heterosexuellen bezeichnen sich auch als heterosexuell, weisen aber weitere darüber hinausgehende Merkmale auf, die nicht nur die häufigere Bezeichnung als heteroflexibel betreffen, sondern auch in einem häufigerem sexuellen Interesse an nicht binären Personen (Skoliosexualität) und der ergänzenden Verwendung weiterer Begriffe für die Selbstzuschreibung, wie bisexuell oder pansexuell.

Gebauer führt aus, dass sich von den nonkonformen Heterosexuellen nunmehr wiederum die Mitglieder des queeren Spektrums unterscheiden durch eine bei Weitem größere Rolle von sexuellen Orientierungen aus den Bereichen Homosexualität, Bisexualität, Pansexualität, Omnisexualität oder Skoliosexualität.

Tatsächlich sei auch die queere Gruppe komplex und es könne von ihren Mitgliedern auch eine heterosexuelle Orientierung oder Heteroflexibilität benannt werden. Wenn Heterosexualität oder Heteroflexibilität bejaht werden, seien diese aber bei Mitgliedern des queeren Clusters tatsächlich immer in ein ausgeprägtes Spektrum weiterer sexueller Orientierungen eingebettet und würden anders als bei den anderen beiden Gruppen nicht als vorherrschend oder besonders wichtig wahrgenommen.

Gebauer streicht heraus, dass interessanterweise Personen, die sich im asexuellen Spektrum verorten, gemäß der Ergebnisse der aktuellen Studie kein eigenständiges Cluster bildeten. Vielmehr sei das asexuelle Spektrum sowohl bei den nonkonformen Heterosexuellen als auch bei queeren Personen vertreten. Demgegenüber sei bei den prototypischen Heterosexuellen das asexuelle Spektrum komplett abwesend.

Gebauer schließt hieraus, dass zur traditionellen heterosexuellen Norm nicht nur die Gegengeschlechtlichkeit an sich gehöre, sondern auch das Vorhandensein eines intensiven sexuellen Begehrens. Wer eines von beiden nicht teile, falle aus der traditionellen heterosexuellen Norm heraus.

Bei den nonkonformen Heterosexuellen und den queeren Personen seien demgegenüber alle sexuellen Begehrens-Stärken vertreten, was den asexuellen Bereich einschließe. Dabei sei aber bei den nonkonformen Heterosexuellen das asexuelle Spektrum etwas stärker repräsentiert als im queeren Cluster.

Die Studie zeigt laut Gebauer darüber hinaus gehend, dass sexuelle Orientierungen nicht ausschließlich eine Frage der Ausrichtung der Sexualität seien. Vielmehr werden Bezüge sichtbar zur Persönlichkeit, zu den politischen Einstellung und zur Art, wie romantische Beziehungen gelebt werden.

Psychologisch stellen sich nach Gebauer die prototypischen Heterosexuellen - im Vergleich zu den anderen beiden Gruppen - als eine Gruppe dar, die partnerschaftlich traditionelle Familienwerte umsetze, sich als gewissenhaft im Sinne von Ordnungsliebe, Genauigkeit und Selbstdisziplin beschreibe und konservative Werte vertrete.

Demgegenüber fallen laut Gebauer die nonkonformen Heterosexuellen aus diesem Raster heraus durch einen geringeren Bezug zur Familiengründung, eine stärkere Introversion und einen geringeren Fokus auf Sexualität insgesamt.

Bei Mitgliedern der queeren Gruppe sei wiederum insbesondere auffällig das stärkere Praktizieren nicht-monogamer Beziehungsformen, das höhere Interesse an sexuellem Experimentieren im Sinne von BDSM, der besonders geringe Konservatismus, sowie persönlichkeitsstrukturell das Muster aus höherer Offenheit für Erfahrung, emotionaler Labilität (Neurotizismus) und Hochsensibilität.

Gebauer hält die erhaltenen Befunde für psychologisch plausibel:

Auch die Unterschiede in der Geschlechter-Verteilung sowie das im Durchschnitt etwas geringere Alter der queeren Gruppe hält Gebauer für plausibel:

Für interessant hält Gebauer aber auch den komplett fehlenden Zusammenhang zwischen dem formalen Bildungsstand und der Zugehörigkeit zu den Clustern:

Für bemerkenswert hält Gebauer es außerdem, dass die in dieser Studie identifizierte Gruppe der nonkonformen Heterosexuellen bisher kaum untersucht sei. Dies hänge vermutlich mit der allgemeinen menschlichen Neigung zusammen, entweder gesellschaftliche Mehrheitsnormen oder das Gegenteil von diesen zu untersuchen.

Auf der Strecke bleibe so eine nicht unerhebliche Anzahl heterosexueller Personen - immerhin 21.6 %, also jede fünfte heterosexuelle Person in dieser Studie - deren Erlebensweisen durch die heterosexuelle Mehrheitsnorm nicht ausreichend repräsentiert werde.

Diese Personen seien zwar heterosexuell, aber in einer anderen Art und Weise als die meisten Heterosexuellen; mit einerseits mehr Offenheit für weitere sexuelle Orientierungen (Fluidität, Flexibilität) und andererseits einem im Durchschnitt deutlich geringeren Grad an Sexualisierung ihrer inneren Erlebensweisen.

Bedeutung für die Partnersuche

Gebauer hält es für wahrscheinlich, dass im Durchschnitt die Aussicht auf eine auch langfristig glückliche und stabile Beziehung steigt, wenn die Partnerwahl innerhalb der jeweiligen drei Cluster stattfindet.

Grundsätzlich sei es möglich, Unterschiede in Beziehungen zu kompensieren. Im Einzelfall könnten Unterschiede sogar für Beziehungen belebend sein. Dennoch sei es bei Weitem einfacher, eine gute Kompatibilität in einer Beziehung zu erreichen, wenn die sexuellen Erlebensweisen miteinander übereinstimmen:

Allerdings sieht Gebauer diese Empfehlungen nicht als in Stein gemeißelt an:

Mut macht laut Gebauer, dass sich zwischen prototypischen Heterosexuellen, nonkonformen Heterosexuellen und dem queeren Spektrum keine Unterschiede in der durchschnittlichen Beziehungszufriedenheit zeige. Alle haben demnach die gleiche Chance, eine erfüllende Beziehung aufzubauen, egal, wie ihre sexuelle Orientierung konfiguriert sei.

Detaillierte numerische Ergebnisse und Erläuterungen der Zusammenhänge werden in diesem Blog-Artikel bereitgestellt.

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Quelle: OTS

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