vonOTS
DEZEMBER 18, 2023
Beschränkende Notfallmaßnahmen werden an psychiatrischen Abteilungen zur Abwendung von akuter Gefahr für das Leben und die Gesundheit eines Menschen eingesetzt. Solche Zwangsmaßnahmen können jedoch mit erheblichen Risiken für Betroffene und Behandlungsteams einhergehen. Aus Studien an Abteilungen für Erwachsenenpsychiatrie ist bekannt, dass Umgebungsfaktoren wie personelle Ausstattung, Vorhandensein von Rückzugsmöglichkeiten, Privatsphäre und Zugang zu natürlichem Licht den Einsatz von Zwangsmaßnahmen beeinflussen können. Eine Studie an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie von MedUni Wien und AKH Wien beweist nun erstmals für Minderjährige mit psychischen Erkrankungen, dass architektonische Innovation den Einsatz von Maßnahmen gegen den Willen von Patient:innen reduzieren kann. Die Forschungsergebnisse wurden aktuell in „Child and Adolescent Mental Health“ publiziert.
Die Studie wurde vor dem Hintergrund der räumlichen Veränderungen an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie von MedUni Wien und AKH Wien durchgeführt: Die Klinik war im Oktober 2020 in einen eigens adaptierten und renovierten Gebäudeteil am Areal des AKH Wien umgezogen. Dort stehen den Patient:innen dank des vergrößerten Raumangebots jetzt mehr Privatsphäre und Rückzugsmöglichkeiten, aber auch mehr natürliches Licht sowie eine insgesamt modernere und kinder- und jugendlichengerechte Ausstattung zur Verfügung.
In Summe erwies sich diese architektonische Intervention im Rahmen der Studie als wirksam: „Unsere Studie bestätigt die Bedeutung alters- und bedürfnisangepasster baulicher Gegebenheiten als wichtigen Faktor für die Vorbeugung von Zwangsmaßnahmen auch bei Kindern und Jugendlichen mit psychischen Erkrankungen“, fasst Erstautorin Klara Czernin, stellvertretende Leiterin der Ambulanz der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, die Ergebnisse zusammen. Innerhalb von 18 Monaten nach dem Umzug der Klinik kam es gegenüber dem Vergleichszeitraum zu einer Reduktion der Rate an mechanischen Fixierungen von 13,7 auf 8,1 Prozent bei minderjährigen Patient:innen, auch die Gesamtdauer aller Zwangsmaßnahmen wurde auf fast die Hälfte verkürzt.
„Bedenkt man den Anstieg an psychischen Belastungen bei Kindern und Jugendlichen mit der Fortdauer der COVID-19-Pandemie und den damit verbundenen Restriktionen im Beobachtungszeitraum unserer Studie, so wird die enorme Relevanz unserer Ergebnisse deutlich“, betont Paul Plener, Leiter der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Darüber hinaus füllen die gewonnenen Erkenntnisse eine Lücke in der noch unzureichenden Datenlage zur Prävention von Zwangsmaßnahmen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Dazu sei es unter anderem auch wichtig, auf die Bedürfnisse einzelner gefährdeter Patient:innengruppen einzugehen, Weiterbildungsprogramme für Mitarbeitende zu entwickeln sowie das Thema Prävention auch in akutpsychiatrischen Behandlungskonzepten zu berücksichtigen, nennt Klara Czernin weitere wesentliche Punkte in der Betreuung von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Erkrankungen.
Publikation: Child and Adolescent Mental Health
Space for youth mental health – coercive measure use before and after architectural innovation at a department of child and adolescent psychiatry
Klara Czernin, Anselm Bründlmayer, Josef S. Baumgartner, Paul L. Plener
DOI: 10.1111/camh.12690
https://acamh.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/camh.12690
Quelle: OTS