Österreich: Kinderrechte - Ursachen bekämpfen statt Pflaster kleben

vonOTS
FEBRUAR 28, 2024

Foto: kija Salzburg, Marco Riebler

Salzburgs Kinder- und Jugendanwältin Andrea Holz-Dahrenstaedt zieht Bilanz und macht auf aktuelle kinderrechtliche Defizite aufmerksam

„Ursachen bekämpfen statt „Pflaster kleben“, damit Kinderrechte gelebte Realität werden“, fordert einmal mehr Salzburgs Kinder- und Jugendanwältin Andrea Holz-Dahrenstaedt. Zum Abschluss ihrer 20jährigen Tätigkeit als Leiterin der Kinder- und Jugendanwaltschaft (kija) Salzburg zog sie heute, Dienstag, 27. Februar, in einem Pressegespräch Bilanz: „Es sind in den vergangenen Jahren zwar einige Verbesserungen erreicht worden, vieles ist aber noch zu tun. Es ist der Auftrag der kija, hartnäckig dran zu bleiben und für gerechte Lebensbedingungen für alle einzustehen!“

„Die Kinderrechte sind zumindest weitgehend bekannt, die Beteiligung von jungen Menschen in vielen Familien und Institutionen hat einen höheren Stellenwert erhalten, in der Gesellschaft wird mehr über Probleme geredet als früher und Hilfe suchen ist nicht mehr tabu. Dementsprechend nehmen auch immer mehr Kinder und Jugendliche Beratungsangebote in Anspruch“, zählt Holz-Dahrenstaedt Beispiele einer positiven Entwicklung auf.

Sie weist aber auch auf weniger Erfreuliches hin: So sagen laut einer Umfrage aus 2022 drei Viertel aller jungen Menschen, dass ihre Anliegen von der Politik nicht gehört werden. Kritisch zu sehen ist auch, dass Krisen wie Covid, Klimabedrohung, Kriege oder Teuerung dazu geführt haben, dass die bestehenden Hilfsangebote den steigenden Bedarf bei Weitem nicht abdecken. Sichtbar wird das laut Holz-Dahrenstaedt etwa am Anstieg der Gefährdungsmeldungen bei der Kinder- und Jugendhilfe (frühere Jugendämter) in Salzburg von 2.263 (2019) auf 3.275 (2022).

Kinderrechtliche Defizite: Forderungen an Politik und Gesellschaft

Konkret nennt die Kinder- und Jugendanwältin folgende aktuelle kinderrechtliche Defizite und daraus resultierende Forderungen an Politik und Gesellschaft:

1. Stellenwert von jungen Menschen erhöhen

Der Stellenwert der Kinder und Jugendlichen, ablesbar auch in den öffentlichen Budgets, sei erschütternd gering. In anderen Bereichen werde viel leichter „Geld flüssig gemacht“, bemängelt Holz-Dahrenstaedt. Es fehlt vielerorts das politische Bewusstsein für die Bedeutung präventiver Maßnahmen. So kommt es z.B. in der Kinder- und Jugendhilfe durch fehlende personelle Ressourcen zu einer Angebotsverminderung bzw. langen Wartezeiten für ambulante Hilfen.

Forderung: Der Personalschlüssel bei der Kinder- und Jugendhilfe muss unbedingt nach fachlichen Standards festgelegt bzw. umgesetzt werden, damit Fachkräfte ihren gesetzlichen Auftrag erfüllen und Familien ausreichend gut betreuen können.

2. Gesundheitsteams für Schulen und zentrale Mobbingstelle

Am Limit sieht Holz-Dahrenstaedt auch die Schulen. Probleme rund um die Schule seien seit Jahren Spitzenreiter bei den Beratungsfällen in der kija. „Mobbing und vor allem der massive Anstieg an Suspendierungen sind Ausdruck der Hilflosigkeit, es gibt zu wenig Unterstützung für Lehrende. Nach knapp 1.000 Fällen im Schuljahr 2018/2919 waren es 2022/2023 österreichweit mehr als 1.900 Kinder, die suspendiert wurden. Die Kinder werden immer jünger, sogar im Kindergarten gibt es schon sogenannte Ausschlüsse.“ Mobbing betreffend komme dazu, dass die Kinder- und Jugendanwaltschaft streckenweise den Bedarf an kostenlosen Workshops zur Prävention oder Intervention nicht abdecken könne.

Forderung: Es braucht eine Schulreform, die den Anforderungen einer zeitgemäßen kindgerechten Schule entspricht. Dringend sind psychosoziale Unterstützungsstrukturen auf- und auszubauen. Auch wenn es bereits viele engagierte Angebote gibt, braucht es Gesundheitsteams, bestehend aus Schulsozialarbeiter:innen, Schoolnurses, Schulärzt:innen und Schulspsycholog:innen. Sie können als integrierter Bestandteil an allen Schulen Sorgen, Probleme und psychische Belastungen der Kinder und Jugendlichen, aber auch Themen wie Mobbing niederschwellig abfangen oder bei drohenden Suspendierungen rechtzeitig hinzugezogen werden.
Gefordert werden ein frühzeitiger Interventionsplan im Vorfeld einer drohenden Suspendierung und eine zentrale Mobbingstelle für Prävention und (Krisen-)Intervention, damit alle junge Menschen, ob in Schulen oder Betrieben, die notwendige Unterstützung erhalten.

3. Bürokratie-Abbau bei Besuchsbegleitung

Probleme gebe es hinsichtlich des Rechtes des Kindes, in hochstrittigen Elternkonflikten Kontakt zu beiden Elternteilen zu haben, so die Expertin. „Wegen mangelnder Finanzierung gibt es für die Besuchsbegleitung – dabei werden Kindern bei Trennungen Begleitpersonen zur Seite gestellt - lange Wartezeiten. In Salzburg gibt es deshalb zurzeit nur mehr einen Anbieter.“

Forderung: Damit es wieder mehr Einrichtungen gibt, die die Besuchsbegleitung anbieten, braucht es neben einer Budgetaufstockung den Abbau der bürokratischen Abrechnungsvorschriften und die Klärung von Zuständigkeiten. Die kija Salzburg hat ob der Notlage einen Gesetzesprüfungsantrag an den Verfassungsgerichtshof initiiert.

4. Bedarfsgerechter Ausbau von Mentoringprogrammen

Mentoringprogramme sind wichtige Bausteine in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Dabei gehen ehrenamtliche Mentor:innen Beziehungen zu Kindern ein, um damit niederschwellig und nachhaltig die Resilienz von Kindern zu steigern. „Obwohl viele Erwachsene als auch Kinder Interesse an einer Mentorenschaft hätten, verhindern fehlende finanzielle Ressourcen die Umsetzung“, kritisiert Holz-Dahrenstaedt. Beispiele sind das Projekt MutMachen, das von der kija ins Leben gerufen wurde und nun beim Verein Einstieg angesiedelt ist, oder das Patenschaftsprojekt des Vereins JoJo für Kinder psychisch kranker Eltern.

Forderung: Damit mehr Kinder und Jugendliche von Mentoringprojekten profitieren können, braucht es ausreichende finanzielle Unterstützung für einen bedarfsgerechten Ausbau.

5. Finanzierung von Fachkräften für Umsetzung von Kinderschutzkonzepten

Die Erstellung von Kinderschutzkonzepten für Schulen und Organisationen sei ein erfreulicher Schritt, so Holz-Dahrenstaedt. Aber es gebe derzeit keine Ressourcen, damit aus einem „Papier“ gelebter Kinderschutz werde. Wenn es Kinderschutzfälle gibt, z.b. bei psychischer Gewalt gegen Kinder, dann brauche es Kinderschutzfachkräfte, die Schulen und Betroffene professionell unterstützen.

Forderung: Die Ressourcen für gelebten Kinderschutz müssen geschaffen werden. Dabei geht es z.B. konkret um die Finanzierung von Kinderschutzfachkräften, die von Schulen im Anlassfall verpflichtend beizuziehen sind.

6. Kinderarmut: Richtsätze in der Sozialunterstützung anheben

Kinderarmut steigt stetig, viele Familien sind von der Teuerung stark betroffen. Holz-Dahrenstaedt: „Kinderarmut ist nicht immer auf den ersten Blick sichtbar, oft schämen sich die Betroffenen. Sichtbar wird Armut aber z.B. in der Schule, wenn Kinder nicht bei Schulveranstaltungen mitmachen können oder für sie die Teilhabe an Sport-, Kultur- und Freizeitangeboten schwierig wird.

Forderung: Die Bekämpfung von Kinderarmut muss eines der vorrangigsten politischen Ziele sein. Anzustreben ist eine sogenannte Grundsicherung für alle Kinder. Bis es so weit ist, sollen Richtsätze der Sozialunterstützung für Kinder entsprechend den tatsächlichen Lebenshaltungskosten angehoben werden. Zur Entlastung beitragen könnten auch Gratis-Öffis für Kinder und Jugendliche oder eine kostenlose gesunde Mahlzeit für jedes Schulkind.

Quelle: OTS

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