Tirol: Menschen mit Behinderungen im Krisen- und Katastrophenfall

vonRedaktion Salzburg
DEZEMBER 10, 2020

Foto: Land Tirol/Pichler

Foto: Land Tirol/Gratl

Eine Presseaussendung des unabhängigen Tiroler Monitoringausschusses

Eine Presseaussendung des unabhängigen Tiroler Monitoringausschusses

Öffentliche Sitzung des Tiroler Monitoringausschusses im Zeichen der Pandemie

Ob gesundheitliche Sorgen, Existenzängste oder die Belastung, den Alltag nicht wie gewohnt bestreiten zu können: „Die Corona-Pandemie stellt für Jede und Jeden eine große Herausforderung dar, Menschen mit Behinderungen treffen die Einschränkungen jedoch besonders hart“, weiß Isolde Kafka, Vorsitzende des Tiroler Monitoringausschusses.

Um auf die aktuellen Entwicklungen einzugehen, befasste sich die Öffentliche Sitzung des Tiroler Monitoringausschusses mit den Herausforderungen für Menschen mit Behinderungen im Krisen- und Katastrophenfall. Diese fand – ebenfalls den epidemiologischen Erfordernissen geschuldet – digital statt. Dabei beleuchteten ExpertInnen die Situation von Menschen mit Behinderungen aus den verschiedensten Blickwinkeln: So teilte Christine Riegler, Mitglied des Monitoringausschusses, Peer Beraterin und Arbeitgeberin ihrer Persönlichen AssistentInnen ihre Erfahrungen mit Persönlicher Assistenz in der Covid-19-Zeit: Ihr hoher Unterstützungsbedarf wurde während der Pandemie zur Herausforderung, da zum einen Persönliche Assistenten in Quarantäne mussten und es zum anderen schwierig war, Schutzmasken zu bekommen, die in einem so engen Unterstützungs-Verhältnis notwendig sind. Auch fiel im Herbst die Möglichkeit der Testungen für die Persönliche Assistenz weg, was für sie zu einer großen Unsicherheit führte.

Eine Telefonumfrage, die unter LeistungsempfängerInnen der Behindertenhilfe zum persönlichen Empfinden während der Pandemie durchgeführt wurde, kam zu dem Ergebnis, dass während des ersten Lockdowns im Frühjahr die Leistungen Tagesstruktur und Mobile Begleitung teilweise gar nicht oder in reduziertem Ausmaß angeboten wurden. Einige NutzerInnen und Angehörige fühlten sich im Stich gelassen. Für sie waren die Leistungseinschränkungen sehr belastend, da vor allem soziale Kontakte fehlten.

Verena Murschetz, Leiterin der OPCAT-Kommission, die als Organ der Volksanwaltschaft die Einhaltung der Menschenrechte prüft, berichtet, dass in dieser Krise nach dem Stand des ersten Lockdowns ein kompletter Personenkreis in Einrichtungen – die Menschen mit Behinderungen – zur "Risiko-Gruppe" erklärt und aufgrund dieser Einstufung in seinen Rechten beschränkt wurde. So haben in einigen Einrichtungen nicht nur während des Lockdowns sondern auch zwischen den Lockdowns absolute Besuchsverbote gegolten. Auch kam es zu Zimmerquarantänen über längeren Zeitraum ohne behördlichen Bescheid.

Aus Sicht der Telefonseelsorge sind die psychosozialen und wirtschaftlich-existentiellen Folgen der Krise groß. Vor allem während der Zeit des Lockdowns in der ersten Jahreshälfte wurde eine zehnprozentige Steigerung bei den Anrufen verzeichnet. Die Beratung per Mail und Chat wurde massiv erhöht, berichtet die Theologin, Psychotherapeutin und Leiterin der Telefonseelsorge Astrid Höpperger.

Mit Blick auf den Nationalen Aktionsplan (NAP) Behinderung 2012-2020 können folgende Erkenntnisse aus der Covid-19-Pandemie gezogen werden: „Zentral ist, dass künftig betroffene Personen im Krisenmanagement miteinbezogen werden müssen und Lernerfahrungen aus der Covid-19-Pandemie aufgearbeitet werden“, so Susanne Prummer vom Institut für LehrerInnenbildung an der Universität Wien.

Aus der Praxis berichtete Elmar Rizzoli, Leiter des Einsatzstabes CORONA: „Im Katastrophenfall werden Menschen mit Behinderungen mitbedacht und Jeder und Jedem kommt unabhängig von einer Behinderung individuelle Hilfe zu. Auch werden in den Vorbereitungen von Krisenplänen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen mitbedacht.“

Gerade in Zeiten der Unsicherheit musste auch barrierefreies Mitsehen bzw. Mitlesen angeboten werden, um wichtige Informationen wie „Was ist verboten?“, „Wie kann man sich schützen?“ und schließlich „Welche Lockerungen treten ab wann in Kraft?“ auch jene Menschen erreicht, die akustisch nicht verstehen können, was beschlossen wurde und wie sich die Krankheit entwickelt. Dazu wurde seitens des Landes innerhalb kürzester Zeit in Zusammenarbeit mit dem Monitoringausschuss eine barrierefreie Kommunikation in Krisensituationen mittels Gebärdendolmetsch und Untertitelung der Pressekonferenzen bereitgestellt.

Auf Erfahrungsberichten basierender Forderungskatalog

„Im Vorfeld haben uns Betroffene ihre Erfahrungen geschildert, die sie während der Corona-Pandemie gemacht haben bzw. wie sie die aktuelle Gesundheitskrise immer noch erleben“, berichtet Kafka. Aus den Stellungnahmen wurde ein Forderungskatalog erstellt, der im Zuge der Sitzung noch weiter ergänzt wurde. Fazit: „Die Corona-Pandemie ist nicht nur eine Gesundheitskrise, sondern sie hat in diesem Bereich gesellschaftliche und strukturelle Mängel ans Tageslicht gebracht – nämlich, dass Menschen mit Behinderungen noch mehr von Teilhabe und Selbstbestimmung ausgeschlossen waren als in ‚normalen‘ Zeiten“, stellt Kafka klar. So reichen die Forderungen vom Schutz vor Vereinsamung – auch mit entsprechenden technischen Hilfsmittels wie Kommunikationstools über Barrierefreies E-Learning, die (arbeits-)rechtliche Absicherung von Menschen mit Behinderungen, Ehrenamtlichen und pflegenden Angehörigen bis hin zur uneingeschränkten medizinische Versorgung sowie der Fortführung von Therapien. Wahrnehmungen können weiterhin an servicestelle.gleichbehandlung@tirol.gv.at geschickt werden.

Maßnahmen in Umsetzung

„Die Erkenntnisse aus der öffentlichen Sitzung des Monitoringausschusses sind für das Land Tirol sehr wichtig und wertvoll. Wir haben ab dem Frühjahr aus Erfahrungen und Rückmeldungen viel gelernt und unsere Vorgehensweisen dahingehend weiter verbessert“, betont Soziallandesrätin Gabriele Fischer. So wurde schnell klar, dass die Pressekonferenzen, die über die Social Media-Kanäle des Landes, aber auch die betreffenden Seiten auf www.tirol.gv.at zu Themen rund um Corona barrierefrei kommuniziert werden müssen: „Auf www.tirol.gv.at/corona-einfache-sprache finden Menschen mit Lernschwierigkeiten die wichtigsten Informationen rund um das Coronavirus, aktuelle Regeln, Ansprechpersonen sowie nützliche Links. Zusätzlich dazu bietet die Abteilung Soziales an zwei Halbtagen in der Woche telefonische Beratung durch in einfacher Sprache geschulte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an.“ Unter der Nummer 0512/508 7677 werden dienstags von 9 bis 12 Uhr und donnerstags von 14 bis 17 Uhr telefonisch Fragen rund um das Thema Coronavirus beantwortet. Darüber hinaus befasst sich ein neu eingerichtetes Krisengremium Covid-19 Behindertenhilfe mit den Anliegen von Menschen mit Behinderungen während der Pandemie. Für Betroffene, die in Einrichtungen der Behindertenhilfe leben, werden MitarbeiterInnen-Screenings mittels PCR-Tests durchgeführt, Antigentests werden künftig nach dem Vorbild der Alten- und Pflegeheime zur Verfügung gestellt. „Damit ist sichergestellt, dass alle Wohnstrukturen offenbleiben und der Kontakt mit Angehörigen unter Einhaltung von Hygiene-Richtlinien möglich ist. Auch Tagesstrukturen werden nicht geschlossen“, stellt LRin Fischer klar.

Ein weiteres wichtiges Thema ist der Gewaltschutz und die Gewaltprävention in diesem Zusammenhang mit Menschen mit Behinderungen, zu welchem am 20. Jänner 2021 eine Landes-Enquete digital stattfinden wird. „Menschen mit Behinderungen sind deutlich häufiger von Gewalt betroffen als Menschen ohne Behinderungen. Für den effektiven Schutz vor Gewalt müssen die Ursachen von und Maßnahmen gegen Gewalt beleuchtet und diskutiert werden“, stellt LRin Fischer klar.

Barrierefreie Hilfeleistung

Um auch in Notfällen barrierefreie Hilfeleistung zu ermöglichen, wird im kommenden Jahr das neue Einsatzleit- und Kommunikationssystem in der Leitstelle Tirol implementiert. Darin beinhaltet ist auch das barrierefreie Notrufsystem DEC 112. „Ab diesem Zeitpunkt sind alle Services der Leitstelle Tirol auch für gehörlose oder schwerhörige Menschen barrierefrei erreichbar“, berichtet der für Sicherheit und Katastrophenschutz zuständige LHStv Josef Geisler, der darauf verweist, dass es auch aktuell eine logistische Lösung für gehörlose Personen gibt: „Sollte derzeit eine gehörlose Person aus Tirol das System DEC 112 nutzen, so übermittelt die Leitstelle Niederösterreich die entsprechenden Daten an die Leitstelle Tirol“. Darüber hinaus können Corona-Abklärungen über das Online-Tool corona.leitstelle.tirol schriftlich erfolgen.

Quelle: Land Tirol

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