vonRedaktion Salzburg
JUNI 14, 2024
90 Hektar wertvolle Naturräume: Stadt Wien und ÖBB stellen Weichen für Renaturierung von ehemaligem Verschiebebahnhof
Die Stadt Wien und die ÖBB stellen die Weichen für Wiederherstellung und Schutz von 90 Hektar ökologisch wertvoller Flächen auf dem Gelände des ehemaligen Verschiebebahnhofs Breitenlee in der Donaustadt. Zur Einordnung: Die Fläche ist mehr als doppelt so groß wie die Steinhofgründe im 16. Bezirk. Bürgermeister Michael Ludwig und ÖBB-Infrastruktur-Vorständin Silvia Angelo haben Anfang dieser Woche einen Letter of Intent unterzeichnet und damit das Projekt „Naturschutz-Areal Breitenlee“ auf Schiene gebracht.
Das Gebiet ist Heimat wertvoller Biotope zwischen Bisamberg und Lobau und ein überregional wichtiger Naturkorridor für seltene Pflanzen- und Tierarten. In den schon jetzt streng geschützten Lebensräumen finden sich Besonderheiten wie Neuntöter, Wiedehopf, Zauneidechse und Orchideen und mehr als 140 Wildbienenarten sowie pannonische Trocken- und Halbtrockenrasen. Die ÖBB benötigen in diesem Gebiet nur noch kleine Flächen für den Bahnbetrieb und ermöglichen zukünftig die nachhaltige Weiternutzung des Areals. Die Stadt wird das Areal zu einem Natura 2000 Gebiet entwickeln und dafür um Förderungen des Biodiversitätsfonds des Bundes und EU-Mittel ansuchen. Präsentiert wurden die Pläne heute vor Ort von Bürgermeister Michael Ludwig, Klimastadtrat Jürgen Czernohorszky, ÖBB Infra-Vorständin Silvia Angelo und Bezirksvorsteher Ernst Nevrivy.
Zusammenwirken von Biodiversität und Klimaschutz
Für Bürgermeister Michael Ludwig ist das Projekt ein Vorbild für das Zusammenwirken von Renaturierung, Artenvielfalt und Klimaschutz. „Hier wird deutlich, warum Wien seit langem viel Wert auf Renaturierung gelegt hat. Renaturierung sichert Biodiversität und damit funktionierende Ökosysteme, in denen wir und nachfolgende Generationen gesund leben können. Wien geht mit dem Naturschutz-Areal Breitenlee künftigen Entscheidungen über eine EU-weite Renaturierungs-Verordnung voran. Wir setzen schon heute Strategien zum Schutz der Biodiversität um und zeigen, wie auch in einer dynamisch wachsenden Stadt wie Wien Renaturierung in großem Stil möglich ist.“
Klimastadtrat Jürgen Czernohorszky: „Das Naturschutz-Areal Breitenlee ist ein Leitprojekt für unsere Vision von Wien als Umweltmusterstadt. Seltene Pflanzen und Tiere sind gerade in der Großstadt unermesslich wertvoll. Darum setzen wir alles daran, ihre Lebensräume und damit ihren Fortbestand zu sichern. Zugleich bieten wir den Wiener*innen ein Mehr an wertvoller Natur. In Zukunft wird man hier den Zusammenhang von Artenvielfalt und Klimaschutz erleben und besser verstehen lernen. Mit Breitenlee schaffen wir ein Musterbeispiel dafür, wie der Schutz bedrohter Arten und Lebensräume im urbanen Raum gelingen kann.“
ÖBB Infra-Vorständin Silvia Angelo: „Es ist uns sehr wichtig, für nicht betriebsnotwendige Flächen, eine passende Nachnutzung zu finden. In Breitenlee hätte vor vielen Jahren ein großer Verschiebebahnhof entstehen sollen. Die Pläne wurden aus verschiedenen Gründen jedoch nie zur Gänze verwirklicht. So konnte sich im Laufe der Jahre ein schützenswertes Stück Natur entwickeln. Es freut mich sehr, dass wir durch den Verkauf der Grundstücke dafür Sorge tragen, dass dieser Lebensraum auch künftig für gefährdete Tiere und Pflanzen gesichert ist.“
Das Gebiet des ehemaligen Verschiebebahnhofs ist dank seiner biologischen Brückenfunktion zwischen dem Natura 2000 Schutzgebiet Bisamberg und der Lobau bzw. dem Nationalpark Donau-Auen ein wichtiger Baustein für die Qualität des Grüngürtels um Wien und schließt auch an den sogenannten Alpen-Karpaten-Korridor an. Er zählt zu den besonders artenreichen Ökoregionen und soll die Biotope einer jahrtausendealten Wanderroute für z. B. Wild, Insekten und Vögel zwischen den beiden Gebirgszügen verbinden.
Entsiegeln, wiederherstellen, Natur und Klima schützen
Bereits ab 1945 wurde der Bahnhofsbetrieb in Breitenlee weitgehend aufgegeben. Dadurch konnte sich auf dem Areal im Nordosten Wiens ein vielfältiger Biotopkomplex aus Trockenrasen, naturnahen Wäldern und Teichen und damit eine besonders wertvolle Naturschutzfläche ausbilden. Neben EU-weit streng geschützten Lebensräumen beherbergt sie auch Reste der einzigen pannonischen Binnendüne auf Wiener Gebiet. Für zahlreiche seltene und streng geschützte Arten ist das Gelände ein überlebenswichtiger Rückzugsraum zwischen bebauten Gebieten und intensiv genutzter Agrarlandschaft.
Entwickelt und koordiniert wird dieses einzigartige Renaturierungsprojekt von der Stadt Wien - Umweltschutz in Kooperation mit dem Stadt Wien - Forst- und Landwirtschaftsbetrieb.
Zur Finanzierung des Projekts bemüht sich die Stadt Wien um Förderungen aus dem Biodiversitätsfonds des Bundes für den Ankauf des Areals sowie um EU-Mittel für die Renaturierungsmaßnahmen. Im Rahmen von mindestens einem EU-Förderprojekt will die Stadt versiegelte und teilversiegelte Flächen wiederherstellen und verbessern, invasive und artenbedrohende Pflanzen beseitigen, neue Lebensräume für Amphibien und Wildbienen anlegen und eine nachhaltige und klimaschonende Weidelandschaft mit Rindern und anderen Weidetieren schaffen. Die Wiederherstellung von extensiven Weiden ist eine wirksame Maßnahme gegen die Biodiversitätskrise. Extensiv genutzte Mähwiesen speichern zudem im Boden bis zu dreimal mehr CO2 als Wald und sind auch resilient gegen Folgen des Klimawandels wie Trockenheit und Hitze.
Natürliche Klimaanlage für Bezirk und Stadt
Naturnahe, artenreiche Lebensräume dienen dem Klimaschutz. Gerade der im Vergleich grünraumarme Nordosten Wiens kann aus dem Projekt vielfachen Nutzen ziehen. Das Naturschutz-Areal Breitenlee wird zudem auch der Naherholung dienen und leistet einen Beitrag zur Kühlung des dynamisch wachsenden Stadtentwicklungsgebiets im 22. Bezirk und zur Erreichung der städtischen Klimaziele. Darüber hinaus leistet es als Lebensraum für Bestäuber einen Beitrag zur Nahrungssicherheit.
„Die Donaustadt ist zum einen geprägt durch ein starkes Bevölkerungswachstum und damit urbane Entwicklung, zum anderen durch ausgedehnte Naturlandschaften und sogar einen Nationalpark. Bei uns wird Wohngebiet verdichtet und Grünraum geschaffen: Das Projekt Naturschutz-Areal Breitenlee zeigt beispielgebend, wie Renaturierung funktionieren kann“, betont Bezirksvorsteher Ernst Nevrivy.
„Jahrzehntelang lag der Bahnhof Breitenlee brach. Die Natur nutzte diese einzigartige Gelegenheit mit all ihrer wunderbaren schöpferischen Kraft und eroberte das Areal im 22. Wiener Gemeindebezirk. Auf der verwilderten Fläche haben seither Rehe, Füchse, Hasen sowie seltene Insekten-, Pflanzen- und Vogelarten einen intakten Lebensraum gefunden. Darunter der Neuntöter, die Zauneidechse, die Schnirkelschnecke, der Weiße Waldportier, der Distelfalter und vieles mehr. Hier auf dem Gelände des Bahnhofs Breitenlee haben sie ein sicheres Zuhause gefunden. Mit der Renaturierung des Areals nehmen wir als Stadt unsere Verantwortung wahr, diesen besonderen Lebensraum zu schützen und zu erhalten“, freut sich Josef Taucher, SPÖ-Klubvorsitzender und Donaustädter Gemeinderat.
„Die Natur hat hier bereits begonnen, sich ihren Platz zurückzuerobern. Wir sorgen nun dafür, dass er langfristig gesichert bleibt und unterstützen mit aktiven Renaturierungsmaßnahmen, damit sich in diesen Ökosystemen noch mehr Artenreichtum entwickeln kann,“ so NEOS Wien Umweltsprecherin Angelika Pipal-Leixner.
Tieren und Pflanzen den Vortritt lassen, Natur respektvoll erleben
Geplant ist langfristig auch eine Zone für sanfte Erholung, Umweltbildung und Vermarktung lokaler Produkte. Mehrere Einstiegsstellen, eine behutsame Wegeführung, Leitsysteme und Beobachtungsplattformen werden den Besucher*innen in Zukunft die Chance geben, verborgene Naturschätze aus der Nähe und trotzdem respektvoll zu erleben, ohne die Tiere und Pflanzen zu stören. „Wir wollen große Teile des Geländes der Natur überlassen und ein Miteinander mit der Bevölkerung schaffen, von dem alle Seiten profitieren“, so der Klimastadtrat.
Die Besucher*innen werden in Informations-, Lehr- und Bildungsbereichen erfahren können, wie ökologisches Gleichgewicht, Biodiversität und Klimaschutz zusammenspielen. Dazu ist unter anderem ein Info-Haus geplant. Mittelfristig sollen vor Ort auch lokal hergestellte Bio-Produkte, wie Feldfrüchte, Obst oder Fleisch von Weidetieren und Wild erhältlich sein.
Grafiken zum Projekt Naturschutz-Areal Breitenlee sind unter folgendem Link abrufbar: wien.gv.at/natur-breitenlee
Fakten zum Projekt Naturschutz-Areal Breitenlee
Ehemaliger Verschiebebahnhof - seit 1945 weitgehend unberührt Projektareal: Rund 90 Hektar – das entspricht in etwa zweimal der Fläche der Steinhofgründe Planung und Umsetzung des EU-LIFE-Projektes: Ankauf des Areals Planung und Umsetzung der Maßnahmen im Rahmen eines EU-LIFE-Projektes Laufzeit: 10 Jahre, Budget 10 bis 15 Millionen Euro, EU-Förderung 60 Prozent Wiederherstellung und Verbesserung der versiegelten und teilversiegelten Flächen Etablierung einer Weidelandschaft, Beseitigung invasiver, artenbedrohender Pflanzen und sensible Wegeführung Schrittweiser Aufbau einer Zone zur sanften Erholungsnutzung, für Direktvermarktung und Umweltbildung
Quelle: Stadt Wien