vonRedaktion Salzburg
JULI 06, 2022
Kaup-Hasler: „Lueger temporär“ ist ein wichtiger Schritt, den Platz als lebendigen Mahn- und Lernort gegen Antisemitismus und politischen Populismus zu gestalten
Im Mai 2021 hat die Stadt nach anhaltender, öffentlich geführter Diskussion zum Lueger-Denkmal einen Round Table im Rathaus abgehalten, an dem mehr als 40 Expert*innen aus Kunst, Wissenschaft, Politik, Verwaltung und Vertreter*innen der Zivilgesellschaft teilgenommen haben. Der Austausch so unterschiedlicher Stimmen und die offene und respektvolle Diskussion haben gezeigt, dass das Lueger-Denkmal nicht länger unkommentiert bleiben kann, sondern dass Handlungsbedarf besteht, der über die seit Sommer 2016 existierende Zusatztafel hinausgeht.
Diese Diskussion lieferte auch die Grundlage für die Entscheidung der Stadt Wien, das Denkmal permanent künstlerisch zu kontextualisieren. Die Ausschreibung dafür erfolgt im Herbst und wird von KÖR Kunst im öffentlichen Raum Wien durchgeführt. Bis zu deren Realisierung wird eine temporäre Installation auf das Denkmal Karl Luegers reagieren.
„Die temporäre Installation mit dem Titel ‚Lueger temporär‘ von Nicole Six und Paul Petritsch ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer dauerhaften Kontextualisierung des Lueger-Denkmals. Vor allem ist sie auch ein wichtiger Schritt dabei, den Platz als lebendigen Mahn- und Lernort gegen Antisemitismus und politischen Populismus zu gestalten“, betont Wiens Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler. „Die künstlerische Installation ‚Lueger temporär‘ markiert in Signalfarben, aber in fragiler Form den Raum – vor Ort und in der Gesellschaft – für eine aktive, sich stetig wandelnde Auseinandersetzung mit unserer Geschichte. Kunst kann ein Gegengewicht herstellen, Bewusstseinsprozesse und öffentliche Diskurse anstoßen, die Vielfältigkeit von Geschichte und Geschichtsschreibung aufzeigen sowie Erinnerungskultur wachhalten.“
„Unsere Geschichte hat Licht- und Schattenseiten, mit denen wir uns ehrlich auseinandersetzen müssen. Eine Chance dazu im Sinne eines Denkanstoßes bietet die heute präsentierte temporäre Installation. Die Entsorgung des Lueger-Denkmals ist das falsche Signal, denn unsere Vergangenheit soll nicht ausgelöscht werden, sondern wir müssen uns ihr stellen. Es geht um eine Erinnerungskultur, deren Teil Straßennamen und Denkmäler sind. Daher bin ich gegen Cancel-Culture und für einen offenen und respektvollen Diskurs. Die Installation ‚Lueger temporär‘ setzt ein sichtbares Zeichen für diesen Willen zum öffentlichen Dialog“, so Markus Figl, Bezirksvorsteher Innere Stadt.
„Jede Stadt hat ein Gedächtnis. Öffentliche Kunst nimmt aktiv oder passiv Bezug auf dieses Gedächtnis, schreibt sich mit ihrem widerständigen Potential in dieses ein oder entwickelt ästhetische Angebote für dessen Gegenwart und Zukunft. Mit ihrer temporären Intervention beim Lueger-Denkmal verbinden Nicole Six und Paul Petritsch die spezifischen Fragen, die das Lueger-Denkmal aufwirft, mit den übergeordneten Fragen zur Erinnerungskultur: Sie stellen zur Diskussion, wie wir heute mit dem historisch belasteten Bestandteil unserer Geschichte umgehen sollen,“ so Cornelia Offergeld, kuratorische Leitung KÖR, und Martina Taig, Geschäftsführung KÖR .
„Die Einladung, ein temporäres Projekt zu entwerfen, ermöglicht, die Diskussion um das Lueger-Denkmal zu erweitern. Im Sinne eines Gegenpols lagern wir Lueger-assoziierte Orte von Wien als Objekte temporär oder lehnen sie an. Wir zeigen, dass Karl Lueger in die Stadt auf unterschiedlichen Ebenen eingeschrieben ist. Wir schaffen ein begeh- und benutzbares Display für die Öffentlichkeit und verbinden historische Erzählung mit der Gegenwart, stellen unbelebten Objekten ein offenes Format gegenüber,“ führen Nicole Six und Paul Petritsch aus.
Details zur temporären Installation
Nach ihren Recherchen waren Nicole Six und Paul Petritsch interessiert an der facettenreichen Präsenz Luegers in Wien. Six-Petritsch planten daraufhin, mit dem im Erinnerungsspeicher Stadt Abgelegten ein temporäres Archiv zu bauen. Dazu werden 15 im öffentlichen Raum Wien präsente Lueger-assozierten Artefakte in Form ihrer Umrisslinien bei dem Lueger-Denkmal versammelt. Diese Silhouetten lehnen im Maßstab 1:1 unmonumental an einem Gerüst und harren nüchtern ihrer Zuordnung. Der Öffentlichkeit wird eine Art Schaulager zur Verfügung gestellt, das den Prozess des Ordnens und Strukturierens als notwendige Basis von Meinungsbildung abbildet und den Beginn einer differenzierten öffentlichen Diskussion als eine Art „Ortsverhandlung“ darstellen soll.
Im Vorfeld erkundete das Duo alle Denk-Orte, Tafeln, Gebäude in Wien, die mit Lueger in Verbindung gebracht werden und nahmen ihre jeweilige Form ab. Zusammengefasst am Luegerplatz bilden sie ein Display für eine öffentliche Diskussion, die Fragen erlaubt wie: Wie wollen wir als Gesellschaft des 21. Jahrhunderts mit unserem „dark heritage“ umgehen? Was kann der öffentliche Raum leisten? Was soll für eine zukünftige Betrachtung bereitgestellt werden?
Die Kosten für Entwurf und Errichtung (durchgeführt von Architekt DI Michael Rieper) belaufen sich auf 100.000 Euro. Die Installation, eine Holzkonstruktion mit der Maximalhöhe von 12,8 Metern (Breite 5m und Maximallänge von 25m), soll im Herbst aufgestellt werden und ein Jahr lang am Platz ein Zeichen setzen.
Die Künstler*innen Nicole Six und Paul Petritsch
Nicole Six und Paul Petritsch realisieren seit 1997 gemeinsam Filme, Fotografien, Displays, Künstler*innenbücher sowie orts- und kontextspezifische Installationen und Projekte im öffentlichen Raum. Sie erforschen die Grenzen unseres Daseins und unserer Wahrnehmung mit Expeditionen in den Alltag, durch Ozeane, Polarregionen, Betonwüsten wie auch Mondlandschaften. Ihre Eingriffe sind experimentelle Versuchsanordnungen, mit denen sie den Raum neu ordnen, indem sie ästhetische mit politischen Dimensionen verbinden.
In diesem Zusammenhang waren Arbeiten wie „Die innere Grenze/Notranja meja“ (2008) und „Das Denkmal/Spomenik“ (2015) in Kärnten als Gegenmonumente sowie das partizipative Projekt „Die Stadt und das gute Leben“ (2020) in der Form von einer Vermessung des Raumes und der Landschaft angelegt.
Permanente Kontextualisierung: Weitere Vorgehensweise
Im Herbst wird es einen geladenen Wettbewerb zur permanenten künstlerischen Kontextualisierung des Lueger-Denkmals, durchgeführt von KÖR Kunst im öffentlichen Raum Wien, geben. Dafür werden derzeit die technischen und inhaltlichen Rahmenbedingungen erarbeitet.
Die technischen Voraussetzungen werden mit den zuständigen Magistratsabteilungen, dem Bezirk und dem Bundesdenkmalamt geklärt. Die inhaltliche Grundlage für den Wettbewerb erarbeitet eine wissenschaftliche Kommission; dieser gehören an:
Heidemarie Uhl (Vorsitz), Historikerin am IKT Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften Wien und Lehrbeauftragte an den Universitäten Wien und Graz. Oliver Rathkolb, Professor für Neuere Geschichte mit besonderer Berücksichtigung der Zeitgeschichte sowie Institutsvorstand des Instituts für Zeitgeschichte an der Universität Wien. Barbara Staudinger, von 2018 bis 2022 Direktorin des Jüdischen Museums Augsburg Schwaben. Seit Juli 2022 Leiterin des Jüdischen Museums Wien. Mechtild Widrich, Professorin am Department für Kunstgeschichte, -theorie und -kritik an der School of the Art Institute of Chicago, im SoSe 2022 Gastprofessorin an der Universität für Angewandte Kunst in Wien.
In Vorbereitung ist auch die Besetzung der internationalen Jury, die den Sieger*innenentwurf auswählen wird. Was bereits verraten werden kann, ist, dass die Kulturwissenschafterin und Expertin für Erinnerungskultur Aleida Assmann für die Jury gewonnen werden konnte. Ebenfalls in Arbeit ist die Liste der Künstler*innen, die zum Wettbewerb eingeladen werden. Der Sieger*innenentwurf soll im kommenden Frühjahr präsentiert werden.
Quelle: Stadt Wien