vonRedaktion International
APRIL 08, 2021
Eine jüngst erschienene Publikation beschreibt die „Gründerzeiten“ von Einrichtungen für Jugendliche und junge Erwachsene in verschiedenen Problemlagen im Innsbruck der 1970er- und 1980er-Jahre.
von Andrea Sommerauer und Hannes Schlosser
Anfang 1984 hatten vier männliche Jugendliche, die im Übergangswohnheim des DOWAS (Durchgangsort für Wohnungs- und Arbeitssuchende) in der Völserstraße wohnten, von der ergebnislosen Suche nach einem Arbeits- oder Lehrplatz genug und wurden selbst initiativ. Unterstützt von zwei Betreuerinnen entwickelten sie die Idee zu einem Arbeitsprojekt: Entrümpelungen, die Restaurierung von Möbeln, der Verkauf von Altwaren und Übersiedlungen sollten angeboten werden und den vier Initiatoren vorübergehende Beschäftigung und ein geringes Einkommen ermöglichen. Der Viaduktbogen 93 wurde angemietet, ein 20 Jahre alter Lkw gekauft – unter anderem dank einer Startsubvention der Stadt Innsbruck in Höhe von 25.000 Schilling. Am 20. Februar 1984 startete das Ho&Ruck, der Name war Programm: „Jetzt packen wir es an“.
Das Projekt ist eine Erfolgsgeschichte. Schon nach ein paar Wochen war der Viaduktbogen zu klein und nach Standorten im Weyrerareal landete das Ho&Ruck schließlich im heutigen Gebäude in der Haller Straße. Es avancierte nicht nur zu einem erfolgreichen Beschäftigungsprojekt für auf dem Arbeitsmarkt schwer Vermittelbare, sondern ist für viele Innsbruckerinnen und Innsbrucker mit seinem Dauerflohmarkt sowie mit seinem Angebot für Übersiedlungen und Wohnungsräumungen längst unverzichtbar geworden.
Bedarfsorientierte Gründungen
Das Ho&Ruck ist eines von zahlreichen Beispielen für den Auf- und Ausbau eines vielfältigen Netzes an Einrichtungen, die ein alternatives Angebot zur vielkritisierten Heimerziehung für Jugendliche in Problemlagen geschaffen haben. Die umfangreiche Studie „Gründerzeiten. Soziale Angebote für Jugendliche in Innsbruck 1970–1990“ zeichnet die Entstehungsgeschichte dieser Angebote in der Tiroler Landeshauptstadt nach. Dazu zählten und zählen Jugendzentren, diverse Wohngemeinschaften, Arbeitsprojekte, Zufluchtsorte für von Gewalt bedrohte Mädchen und Frauen etc. Die GründerInnen suchten zeitgemäße Antworten auf Sucht, Jugendkriminalität, Arbeits- und Wohnungslosigkeit sowie patriarchale Unterdrückung.
Zentrales Kriterium für die Schaffung neuer Einrichtungen war das Erkennen eines Bedarfs, der sich in der alltäglichen Arbeit mit Jugendlichen im Alter von 14 bis 21 Jahren zeigte. Nur sehr selten kamen die Initiativen wie im Fall des Ho & Ruck von Betroffenen selbst, selten auch aus der Politik oder Beamtenschaft. Häufig zählten zu den GründerInnen junge Menschen, etwa nach einer Ausbildung in Sozialarbeit oder Pädagogik, aber auch viele engagierte Laien spielten eine Rolle.
Wiederholt empörten sich Abgeordnete des Innsbrucker Gemeinderats über die Vorgangsweise, zuerst Fakten zu schaffen und dann beharrlich Subventionen einzufordern. Um Anerkennung, Respekt und kostendeckende Subventionen zu erhalten, brauchten diese GründerInnen meist großes Durchhaltevermögen bei vielfach prekären Arbeitsbedingungen. Nicht alle Initiativen überlebten diese Phase, retrospektiv betrachtet sind es aber erstaunlich viele.
Zwei Jugendzentren versus ein Bischof
Zwei Jugendzentren spielten in Innsbruck früh eine prägende Rolle. Die sich an GymnasiastInnen und Studierende richtende MK (Mariannische Kongregation) sowie das Z6, das sich an Arbeiterjugendliche, aber auch an Randgruppen (wie z.B. Rocker) wandte. Die beiden kirchlichen Einrichtungen gerieten wegen ihres liberalen Umgangs mit heiklen Themen (Sexualität, Demokratie und Mitbestimmung, Bundesheer, Drogen und Alkohol etc.) in Konflikt mit dem Innsbrucker Bischof Paulus Rusch. Er erwirkte 1973 den Rauswurf des charismatischen Leiters der MK, Jesuitenpater Sigmund Kripp, und im darauffolgenden Jahr ließ er die Türschlösser der Räumlichkeiten in der Zollerstraße 6 austauschen, was das Z6 veranlasste, einen selbständigen Verein zu gründen. Es war über viele Jahre in Innsbruck die innovativste Kraft bei der Gründung von Einrichtungen, die jeweils aus aktuellen Problemlagen seiner Mitglieder resultierten. So entstanden u.a. die stationäre Drogentherapieeinrichtung KIT (Kontakt-Information-Therapie), das DOWAS und Arbeitsprojekte wie „Insieme“ und das vegetarische Restaurant „Philippine“.
Das Buch zeichnet anschaulich die Geschichte(n) der Gründungen sozialer Einrichtungen nach, eingebettet in den politischen Rahmen dieser beiden Jahrzehnte. Erzählt wird auch von den Vernetzungsprojekten die entstanden, um sich gegenseitig zu unterstützen und zugleich die (sozial-)politische Wirksamkeit zu erhöhen – der Sozialpolitische Arbeitskreis (SPAK) ist bis heute in diesem Sinne tätig.
Quelle: Stadt Innsbruck