Brief aus Wien: Europas Atomenergiesektor ist stark abhängig von Russland

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Wien

05 Mär 15:00 2023 von Redaktion International Print This Article

Neue Studie des Städtenetzwerks „Cities for Nuclear Free Europe“ belegt Verflechtungen zwischen europäischen und russischem Nuklearsektor

Das kürzlich beschlossene zehnte Sanktionspaket der Europäischen Union gegen Russland lässt einen Bereich nach wie vor vollkommen unberührt - die Atomenergie. „Dabei befindet sich die EU auch im Nuklearbereich in einem drastischen Abhängigkeitsverhältnis“, betont Wiens Klimastadtrat Jürgen Czernohorszky, der auch Vorsitzender des Städtenetzwerks „Cities for Nuclear Free Europe“ (CNFE) ist. „Das betrifft konkret die Konstruktion neuer Reaktoren, die Instandhaltung bestehender Reaktoren, den Import von angereichertem Uran, die Bereitstellung von Brennstäben oder die Produktion von Ersatzkomponenten.“

Neue Studie über Europas Abhängigkeit – „Russian Grip on EU Nuclear Power“

Im Auftrag der Wiener Umweltanwaltschaft und dem Städtenetzwerk „Cities for Nuclear Free Europe“ unter Wiener Vorsitz wurde dazu gerade die Studie „Russian Grip on EU Nuclear Power“ fertig gestellt: Sie belegt bis ins Detail die Verflechtungen zwischen dem europäischen und dem russischen Nuklearsektor. Knapp ein Drittel der Atomkraftwerke Europas ist von russischer Bauart. Dies ist vor allem in Ländern der ehemaligen Sowjetunion der Fall. Darüber hinaus sind viele Unternehmen im Besitz von russischen Konzernen oder befinden sich in engen Kooperationsverhältnissen mit russischen Partnern.

Aufhebung der Flugverbotszone für Brennstäbe aus Russland

In der Studie wird auch darauf eingegangen, mit welchen Schwierigkeiten zu rechnen ist, sollten russische Leistungen ausfallen. Eines der Hauptprobleme ist, dass viele Bauteile von AKW individualisiert sind und nicht jeder Hersteller in der Lage ist, für jeden Reaktortyp Komponenten zu produzieren. Das betrifft vor allem die Bereitstellung von Brennstoffen der älteren WWER-440 Reaktoren, die beispielsweise in der Slowakei, Tschechien, Ungarn oder Bulgarien eingesetzt werden. Da aktuell die Bereitstellung von Brennstoffen für WWER-440 Reaktoren ausschließlich durch russische Unternehmen möglich ist, musste 2022 mehrmals die Flugverbotszone für russische Sondertransporte mit Brennstoffen für Atomkraftwerke aufgehoben werden. Aber auch Frankreich bezieht angereichertes Uran aus Russland. Dieses wird für die Produktion von Brennstoffen der französischen Reaktorflotte eingesetzt.

Brief aus Wien

Stadtrat Czernohorszky hat sich nun als Präsident des Städtenetzwerkes CNFE in einem Brief an die EU-Kommission gewandt und fordert, dass die Nuklearbranche in den europäischen Sanktionskatalog mitaufgenommen wird. „Ein unabhängiger Energiemarkt in Europa kann nur dann erreicht werden, wenn Europa die Abhängigkeitsverhältnisse gegenüber Russland reduziert“, so Czernohorszky.

Die Stadt Wien ist mit ihren Forderungen nicht allein

Einige Mitgliedsstaaten der EU, darunter Polen und die baltischen Staaten, setzen sich ebenfalls dafür ein, dass nukleare Leistungen sanktioniert werden. Auch das Europaparlament hat in einer Resolution gefordert, Brennstäbe aus russischer Produktion zu verbieten. Allerdings legen sich einige Mitgliedsstaaten, darunter Ungarn, quer und verhindern den europäischen Schulterschluss. Trotzdem gibt es mehrere europäische Länder, die bereits von selbst versuchen, ihre Abhängigkeit zu reduzieren. Es wurden bereits Unternehmen mit russischen Beteiligungen von europäischer Seite aufgekauft (z.B. ŠKODA JS in Tschechien). Darüber hinaus gibt es aktuell Bestrebungen, Brennstoffe für russische WWER-440 Reaktorsystem von westlichen Unternehmen entwickeln zu lassen. In dem Brief der CNFE an die EU Kommission wird nun gefordert, „dass jene Länder, die gerade versuchen, sich aus eigener Kraft von Russlands Einflussnahme im Nuklearbereich zu lösen, tatkräftig in ihren Bestrebungen unterstützt werden müssen.“

Nuklearer Neubau in Ungarn – russische Reaktoren im Erdbebengebiet

Österreichs Nachbarstaat Ungarn positioniert sich unter anderem auch deshalb gegen die Sanktionierung des russischen Nuklearsektors, weil aktuell zwei neue Reaktoren am Standort Paks durch das russische Unternehmen Rosatom errichtet werden. 10 Milliarden Euro des mit 12,5 Milliarden Euro dotierten Projektes werden über einen Kredit aus Russland finanziert.

Die Situation in Ungarn wird dadurch noch erschwert, dass sich der Standort Paks in einem bekannten Erdbebengebiet befindet, wodurch immer wieder Kritik von internationaler Seite und Seismologen an Ungarn gerichtet wird. Auch Finnland war im Begriff, ein Kernkraftwerk (WWER-1200 in Chanhikivi) von Rosatom errichten zu lassen, hat das Projekt im Jahr 2022 jedoch aufgrund der russischen Invasion vollständig eingestellt.



Quelle: Stadt Wien



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