Wien: Der streitbare Philosoph - Nachlass Rudolf Burger in der Wienbibliothek im Rathaus
Die Wienbibliothek im Rathaus hat den Nachlass des Physikers, Hochschullehrers und -rektors, Essayisten und Philosophen Rudolf Burger (1938–2021) erworben: Berufliche und publizistische Zeugnisse, Korrespondenzen und die systematisch angelegte Bibliothek zeigen einen streitbaren Zeitgenossen und Analytiker seiner Gegenwart.
»Er zählte zu den bedeutendsten Intellektuellen des Landes und hat die Diskurskultur nachhaltig geprägt: Bereits zu Lebzeiten war es für Rudolf Burger Thema, seinen Nachlass wissenschaftlich zugänglich zu machen. Es ist eine große Freude, dass seine Kinder Tamara Burger und Richard Burger den Nachlass der Wienbibliothek im Rathaus überantwortet haben und er somit der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen wird«, betont Veronica Kaup-Hasler, Stadträtin für Kultur und Wissenschaft. »Die Reihe wertvoller Nachlässe der Wienbibliothek im Rathaus, zu der bereits die Nachlässe von Adolf Holl, Friederike Mayröcker, Felix Salten, Marie von Ebner-Eschenbach oder Karl Kraus zählen, wird so um einen Schatz reicher.«
»Rudolf Burger war ein hochintelligenter und kampflustiger Denker, der auf kühle und distanzierte Weise versuchte „die Mechanik dieser Welt zu verstehen“, wie er einmal selbst in einem Interview formulierte«, ergänzt Wienbibliothek-Direktorin Anita Eichinger. »Es freut mich daher außerordentlich, dass es gelungen ist, seinen Nachlass an die Wienbibliothek im Rathaus zu bringen. Mit den darin enthaltenen Dokumenten, viele davon in handschriftlicher Form, wird Burger über seinen Tod hinaus weiterhin für wissenschaftliche Debatten und gesellschaftspolitische Auseinandersetzungen sorgen.«
Berufliche und publizistische Tätigkeit
Im Fokus des von der Wienbibliothek im Rathaus übernommenen Nachlasses steht die berufliche und publizistische Tätigkeit von Rudolf Burger, der sich in seinem umfangreichen Werk mit verschiedenen Aspekten der Philosophie beschäftigt hatte. Dazu zählen in erster Linie jene Zeugnisse, die im Zusammenhang mit der Entstehung selbständig und unselbständig erschienener Werke oder Vorträge überliefert sind und die Recherchen in Form von Kopien, Ausdrucken oder Zeitungsausschnitten beinhalten, ergänzt von damit verbundenen Korrespondenzen. Da Burger selbst nie mit Schreibmaschine oder Computer arbeitete, zählen bei allen wichtigen Essays eigenhändige Manuskripte zum Kern der Auseinandersetzung mit einem Thema. Wie intensiv Burgers analoge Prägung war, lässt sich an den Textmontagen erkennen, die auf Computerausdrucken basieren. Diese neuen Fassungen weisen teils intensive eigenhändige Korrekturen und Ergänzungen auf, die dem eigentlich zugrundeliegenden Computerausdruck Manuskriptcharakter verleihen.
Parallel zu seiner Tätigkeit als Wissenschaftsreferent im Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung trieb er auch seine wissenschaftliche Karriere voran. Zeugnis davon ist u. a. ein bisher unveröffentlichtes Interview mit Michel Foucault in Paris aus dem Jahr 1973. Ergänzend bilden die sich in Burgers Nachlass befindlichen Bücher von Foucault mit eingelegten Zetteln und Anmerkungen mehrere Lektüreschichten ab. Weiters hat sich im Nachlass ein 39-seitiges Exzerpt-Manuskript dazu erhalten. Auch andere Textzeugen von Burgers wissenschaftlicher Tätigkeit sind oft in eigenhändiger Überlieferung vorhanden, darunter auch Vorlesungen.
Seit 1989 trat Burger mit Monographien hervor, als Essayist fiel er insbesondere durch seine Aufsätze in Zeitschriften und Zeitungen auf, darunter auch in der Wochenzeitung »Falter«. Zentrales Publikationsorgan war für Burger der traditionsreiche »Merkur«, zahlreiche Interviews mit Burger erschienen unter anderem in der »Wiener Zeitung«. Die Korrespondenzen Burgers mit den langjährigen Herausgebern Karl Heinz Bohrer und Kurt Scheel zählen zu den wichtigsten Dokumenten des Nachlasses.
Auch Rudolf Burgers Netzwerke werden u. a. durch Belege von Teilnahmen an zahlreichen nationalen und internationalen Tagungen und Kongressen, fünf Adressbücher und einen – nicht ganz so großen – Bestand an offiziellen Fotografien deutlich gemacht.
Korrespondenzen
Weiters erhalten sind zwei Korrespondenzstücke der Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, die belegen, dass Burger ihr bei dem Heidegger-Stück »Totenauberg« (1992) behilflich gewesen ist. Auf einer Postkarte erbat sie sich beispielsweise Burgers Vortrag »Heimat«, der im Bestand als handschriftliches Manuskript erhalten ist.
Von Bedeutung sind ebenfalls vier originale Schreiben des Sozialphilosophen Oskar Negt, die zumeist mit dessen Buch »Geschichte und Eigensinn« in Verbindung stehen: »Ohne Übertreibung möchte ich sagen, daß Deine kritische Besprechung unseres Buches das bei weitem Beste ist, was ich bisher darüber gelesen habe. Du wirst einwenden, daß das kein großes Lob ist, weil die Dummheit und Verständnislosigkeit (besonders in der liebevollen Hilflosigkeit) für alle Besprechungen bisher bestimmend gewesen ist.«
»Wie streitbar Rudolf Burger war und wahrgenommen wurde, zeigen auch zahlreiche Korrespondenzstücke mit Zeitgenoss*innen jeglicher Couleur, über Gesinnungs- und Parteigrenzen hinweg«, so Anita Eichinger.
Bemerkenswert sind u. a. mehrere Schreiben von Burgers Freund Franz Vranitzky. Wie sehr man sich schätzte, macht Burgers Text »Abschied von einem Staatsmann« deutlich, den er anlässlich von Vranitzkys Rückzug aus der Politik publizierte. Weitere bekannte Briefschreiber*innen sind Anne Hamilton, Franz Morak, Konrad Paul Liessmann, Erika Weinzierl u.v.a.m.
Erhalten sind Korrespondenzstücke zu Engagement hinsichtlich der Absetzung von Bundespräsident Kurt Waldheim mit Alexander Van der Bellen als Briefpartner. Burgers durchaus skeptische Positionen gegenüber der Schwarz-Blauen Regierung werden (trotz seines berüchtigten Essays über den »antifaschistischen Karneval«) mit Karl Schwarzenberg diskutiert. Im Bestand finden sich auch Korrespondenzen mit Wolfgang Neugebauer, dem wissenschaftlichen Leiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes (DÖW), in denen es auch darum geht, dass Burger ersucht wird, den Vorstand des DÖW zu verlassen – ein Effekt seines Essays »Die Irrtümer der Gedenkpolitik«.
Bibliothek
Von Rudolf Burgers Hinwendung zu soziologischen und philosophischen Themen zeugt auch seine reichhaltige und systematisch aufgebaute Bibliothek mit rund 2.000 Büchern, die teils intensive Lesespuren aufweisen und mit papierenen Beilagen ergänzt sind. In einem guten konservatorischen Zustand reihen sich Werke (und häufig Werkausgaben) von Adorno, Camus, Foucault, Hegel, Marx, Sartre neben denen von vielen anderen Denkerinnen und Denkern des 19. und 20. Jahrhunderts ein.
Statement Tamara und Richard Burger
»Wir sollten uns überlegen, was wir mit den Büchern machen, wenn ich einmal über den Jordan gehe“, pflegte unser Papa manchmal beim Abendessen zu sagen. Vielleicht könnt ihr sie an eine Uni spenden, auch wenn sie sicherlich ein bisschen was wert sind.“ Damit war das Thema für uns aber auch schon wieder schnell beendet, wer denkt schon gerne an den Tod der Eltern, geschweige denn darüber hinaus.
Aber irgendwann, es sei denn das Schicksal verhält sich gegen den Lauf der Natur, trifft es jeden und dann steht man erst mal da ... Nach seinem Tod stellte sich bald die Frage „Wie machen wir mit den Büchern weiter“? Papa war mitten in den Vorbereitungen für seine letzten Bücher gewesen. Eines war schon im Druck, zwei weitere in Planung und Vorbereitung. Was geschieht jetzt mit der Bibliothek, was mit seinem schriftlichen Nachlass? Wir schrieben Universitäten, Institute, Bibliotheken an. Plötzlich ist es, als wäre fast wieder Leben in der Wohnung. Menschen gehen ein und aus, schauen Bücher an, begutachten und sichten. Schließlich bekommen wir ein Angebot von der Wienbibliothek ... Februar 2022, es scheint „alles geschafft“ zu sein. Eine Erleichterung, die sich doch nur schwer anfühlt. Das ehemalige zu Hause unwiderruflich weg, das letzte Stück Kindheit auch, aber wie gesagt – irgendwann trifft es die meisten, wir sind nichts Besonderes. Besonders aber ist, dass das Herzblut dieses Zuhauses im Wiener Rathaus erhalten geblieben ist.«
Nähere Informationen:
www.geschichtewiki.wien.gv.at/Rudolf_Burger
Quelle: Stadt Wien