Der ungeklärte Brexit-Fall Gibraltar

Slide background
26 Jän 18:29 2021 von Redaktion International Print This Article

Seit dem 01.01.2021 gehört das Vereinigte Königreich offiziell und in allen Bereichen nicht mehr zur Europäischen Union. Die Einzelheiten des neuen Abkommens zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich wurden auf letzter Minute zusammengetragen. In einem Jahr wie 2020, in dem eine Pandemie wütete, die noch immer anhält, ist dies durchaus keine Leichtigkeit gewesen. Somit ist es kaum verwunderlich, dass die eine oder andere Frage noch offen ist. Einen Stadtstaat scheint dies jedoch besonders getroffen zu haben: Gibraltar.

Das britische Überseegebiet Gibraltar

Einen Sonderstatus hat die Halbinsel im Mittelmeer bereits seit vielen Jahren. Als britisches Überseegebiet ist Gibraltar in allen internen Belangen autonom, wird jedoch bei allen außenpolitischen Angelegenheiten durch Großbritannien vertreten. Aufgrund dieser Konstellation ist das gerade einmal zirka 30.000 Einwohner starke Land ebenfalls von dem Austritt aus der EU betroffen. In diesem Fall stellt es ein noch größeres Problem dar, als zum Beispiel in Schottland. Gibraltar ist von drei Seiten von Wasser umgeben. Die einzige Landesgrenze ist mit Spanien. Aus wirtschaftlicher Sicht profitierten bislang beide Länder vom freien Handels- und Personenverkehr.

Ein kurzer Blick auf die Geschichte

Vor tausenden von Jahren lebten bereits die Neandertaler in den Höhlen dieses Mittelmeerfelsen. Doch auch ein Blick auf die neuere Geschichte Gibraltars fällt nicht weniger lebendig aus. Von 711 vor Christus bis zirka 1274 nach Christus wurde das Land von Berbern besiedelt. Ihrem Anführer, Tariq ibn Ziyad, hat Gibraltar seinen Namen zu verdanken. Zu diesen Zeiten wurde der Felsen nämlich als Jabal Tariq (Tariqs Berg) bezeichnet. 1501 schaffte es Isabella I, Gibraltar für Spanien einzunehmen. Doch bereits 1704 erhob ein neues Land Anspruch über diesen strategisch wichtigen Ort. Sir George Rooke legte den Grundstein für die Herrschaft Großbritanniens über Gibraltar. 1967 und 2002 stimmte die Bevölkerung mit überwiegender Mehrheit der fortwährenden Zugehörigkeit zu Großbritannien zu.

Wie es zu Brexit kam

Im Jahr 2016 stimmten die Bürger des Vereinigten Königreichs und Gibraltar darüber ab, sie weiterhin Teil der Europäischen Union bleiben möchten. Den endgültigen Ausgang dieser Abstimmung kennen viele, doch kaum jemand weiß, dass es ein Land gab, das sich mit mehr als 96% gegen einen Austritt der EU entschied. Da Gibraltar sowohl geschichtlich als auch geografisch eng mit dem Europäischen Festland verbunden ist, wurden hier die negativen Konsequenzen eines Austritts erkannt. Eine Befürchtung war auch, dass Spanien erneut versuchen würde, einen Anspruch auf das Gebiet zu erheben (wozu es auf politischer Ebene zumindest in Worten auch kam).

Eine (vorläufige) Einigung

Die Einigungen zwischen Europa und UK fanden bereits kurz vor knapp statt, Gibraltars Verhandlungen wurden wiederum noch kurzfristiger abgeschlossen. Der amtierende Ministerpräsident Fabian Picardo musste zum Ende des Jahres 2020 nicht nur eine sich schlagartig ausbreitende Pandemie in den Griff bekommen, sondern gleichzeitig die Zukunft seines Landes aushandeln. Kurz vor Mitternacht wurde der Vorschlag wie sich Gibraltar nach Brexit eine Zusammenarbeit mit der EU vorstellt eingereicht. Hauptthema war die Grenze zwischen dem spanischen Festland und der britischen Halbinsel. Bis vor kurzem durften EU-Bürger ohne Probleme in beide Länder ein- und ausreisen. Damit dies auch weiterhin der Fall ist, stimmte Gibraltar zu, Teil des Schengen-Bereiches zu werden.

Ein kurzer Blick auf die Wirtschaft

Mehrere Sektoren sorgen in Gibraltar dafür, dass die Haushaltskasse brummt. Während das Militär auch nach Brexit weiterhin präsent bleibt, sind vor allem die Tourismus-, Finanz- und Glücksspielbranche auf ein unkompliziertes Passieren von Waren, Dienstleistungen und vor allem Personen über die Grenze angewiesen. Mit Hilfe des Schengen-Beitritts ist zumindest Letzteres erst einmal gesichert. Da es während der Brexit-Abstimmung im Jahre 2016 und dem tatsächlichen Austritt am 1. Januar 2021 etliches an offenen Fragen gab, wanderten einige Glücksspielanbieter kurzerhand nach Malta aus. Neue Pay n Play Casinos lässt es sich somit nur dort finden.

Erste Probleme machen sich erkennbar

Obwohl alle Beteiligten dem neuen Entwurf zugestimmt haben, lassen sich die ersten Probleme bei der Umsetzung erkennen. Der Personenverkehr wird an der Grenze durch Frontex in den nächsten Jahren mitgeregelt, sodass bislang EU-Bürger kein Problem hatten, ein- und auszureisen. Doch wie es sich mit Waren verhält, ist eine etwas kompliziertere Angelegenheit. Erst vor kurzem berichtete eine englischsprachige Zeitung der Costa del Sol von einem Mann, der in Gibraltar seinen wöchentlichen Einkauf tätigte. An der Grenze wurde er auf spanischer Seite angehalten und darauf hingewiesen, dass bestimmte Produkte nicht länger nach Spanien eingeführt werden dürfen. Während Nelken und Chilipulver keine Probleme darstellten, hatten es die Polizisten wohl vor allem auf seine Peri-Peri-Soße abgesehen. Die Begründung war, dass es sich hierbei um ein verarbeitetes Nahrungsmittel handelt.

Wie die Zukunft aussieht

Knapp vier Jahre vergingen zwischen Referendum und dem Austritt. Dennoch mag es einem so vorkommen, als wäre alles in letzter Minute entschieden worden. Da keine Veränderung leicht ist, wird es vermutlich mindestens vier weitere Jahre bedürfen, um die wahren Konsequenzen des Brexit zu erkennen. Aufgrund der einmaligen Situation Gibraltars könnte uns dieses Land jedoch bereits früher Hinweise hierauf geben. Im kompletten Chaos zu versinken ist keine Option, da viel zu viel auf dem Spiel steht.



  Markiert "tagged" als:
  Kategorien: