Wien: Diskussion mit Bürgermeister Ludwig und Fachleuten zu Corona und Vertrauen
Foto: PID/Jobst
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Ein neues Buch befasst sich mit Corona und Phänomenen, die um dieses Thema entstanden sind. Eine Expert*innenrunde diskutierte im Anschluss an die Buchpräsentation darüber.
Heute, Freitag, wurde im Wiener Rathaus das Buch „Vertrauen. Wie Politik, Gesellschaft und Wirtschaft der Pandemie begegnen“ von Margaretha Kopeinig präsentiert. Die Autorin geht darin in zahlreichen Expert*innengesprächen der Frage nach, welche Phänomene durch Pandemie, Lockdowns und Einschränkungen der Freiheitsrechte an die Oberfläche gekommen sind. Außerdem analysiert sie, wie anfänglich in den verschiedensten Bereichen – wie etwa im Gesundheitssystem, bei Informationen und Maßnahmen, aber auch in Wirtschaft und Politik – auf Corona reagiert wurde, was in Krisenzeiten notwendig ist und wie es gelingen kann, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen.
Bei einem anschließenden Podiumsgespräch mit Wiens Bürgermeister Michael Ludwig, Barbara Maier, Vorständin der gynäkologischen-geburtshilflichen Abteilung der Klinik Ottakring, Arschang Valipour, Vorstand für Innere Medizin und Pneumologie an der Klinik Floridsdorf und Erich Neuwirth, Statistiker und „Daten-Aufklärer der Nation“ haben die Teilnehmer*innen über die Inhalte des Buches, den konsequenten Wiener Weg in Sachen Corona sowie Vertrauen diskutiert. Autorin Margaretha Kopeinig leitete das Gespräch.
Wiens Bürgermeister Michael Ludwig führte aus, dass er „immer Vertrauen in die Expertinnen und Experten gehabt hat“. Ein Gremium sei immer die Basis für weitere Entscheidungen in der Pandemie gewesen. Den Wiener Weg bezeichnete Ludwig als „nicht härter, sondern konsequenter“. Es sei nicht der Plan gewesen, einen eigenen Weg gehen zu müssen, so der Stadtchef. Jedoch haben, nach einem guten Beginn, mehr und mehr innenpolitische Befindlichkeiten eine Rolle gespielt bei den Maßnahmen gegen das Corona-Virus. „Menschen akzeptieren Entscheidungen leichter, wenn sie klar und durchgehend sind“, sagte Bürgermeister Ludwig. Das sei in Wien gut gelungen und deshalb würden auch viele Menschen Verständnis für strengere Maßnahmen haben. „In der Krise merkt man auch den Charakter eines Menschen und der Gesellschaft“, so Ludwig weiter.
Barbara Maier verwies dabei auf die Anfänge der Pandemie, als die Klinik Ottakring für die Aufnahme infizierter Schwangerer zuständig war. Maier setzte sich in enger Zusammenarbeit mit der Stadt Wien für eine Impfpriorisierung von schwangeren Frauen ein. Jedoch musste die Abteilungsleiterin feststellen, dass „eine erste Euphorie leider einer Skepsis wich“. Maier führte aus: „Die Impfung ist von uns zu jedem Zeitpunkt empfohlen.“ Trotzdem würde sich die Impfquote – nicht nur durch skeptische Frauen, sondern auch deren Umfeld – in der Gruppe der Schwangeren in Grenzen halten.
Für Arschang Valipour sei das Fehlen einer „konsistenten und kreativen bundesweiten Impfkampagne“ mit ein Grund für das mangelnde Vertrauen der Bevölkerung in Medizin bzw. Wissenschaft. Valipour lobte Wien, das in diesem Bereich eine Vorbildfunktion eingenommen habe. So seien zahlreiche Anstrengungen vorgenommen worden, um die Menschen zur Impfung zu bewegen. „Leider werden Menschen, die laut schreien genauso gehört, wie Menschen die rational argumentieren“, so der Mediziner. Das würde zu einem „false balance“-Problem führen – der Eindruck würde entstehen, es gäbe „ebenso viele Gegenstimmen wie Befürworter“. „Man hätte von Anfang an zielgruppenorientierter arbeiten können“, schloss Valipour im Hinblick auf eine sinnvolle durchgehende Impfkampagne des Bundes.
Statistiker Erich Neuwirth sprach von einer „eher schwachen Datenlage“, die die Aufbereitung und ein daraus ableitendes Handeln oft erschweren würde. Es brauche mehr Daten bezüglich Infektionen oder Re-Infektion und Länge der Spitalsaufenthalte. „Ich versuche immer wieder klar zu machen, dass gut ausgewertete Daten wesentliche Grundlagen sinnvoller politischer Entscheidungen sein können“, so Neuwirth.
Wie geht es weiter? Welche Lehren können gezogen werden?
Dass die Spitäler funktionstüchtig bleiben müssen, hat für Maier oberste Priorität. Durch Erkrankungen würden aktuell bereits Personalprobleme eintreten. Deshalb habe jede und jeder Einzelne die Pflicht, sich und andere zu schützen. „Wir müssen ein Vorbild sein“, so Maier.
Valipour kritisierte, dass das „Narrativ besteht, es geht jetzt nur mehr um vulnerable Gruppen“. Doch, so der Mediziner, seien viel mehr Menschen vulnerabel als gedacht. Er rechne mit einem Anstieg der Fallzahlen in den nächsten Wochen und einer enormen Belastung des Gesundheitspersonals. „Langfristig sollten wir viel mehr in Gesundheitsbewusstsein und Gesundheitswissen investieren“, so Valipour. Das fange bereits in der Schule an und würde das Vertrauen in Medizin und Wissenschaft sowie Fakten stärken.
Um sich vor alternativen Fakten zu schützen, müsse man „Menschen gute Daten zeigen, diese gut aufbereiten und erklären, wie man daraus Wissen und Entscheidungen ableiten kann“, erklärte Statistiker Neuwirth. Die Daten würden zeigen, dass etwa eine Maskenpflicht hilft. Neuwirth appellierte, der Statistik bereits in der Schule mehr Bedeutung zuzumessen, um Vertrauen aufzubauen.
Bürgermeister Ludwig schloss die Diskussion mit dem Dank an den Gesundheits-, Pflege- und Wissenschaftsbereich sowie die kritische Infrastruktur. „Hier hat es sich gezeigt, welch großartige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wir haben, aber wo es auch nachzuschärfen gilt.“ Ludwig sagte, es sei sinnvoll, frühzeitig Maßnahmen zu setzen, die keine große Belastung für die Bevölkerung bedeuten und nicht erst in eine neue Corona-Welle hineinzusteuern. „Im dritten Jahr von Corona gilt es, die Systematik der Pandemie zu verstehen und danach zu handeln.“
Das Buch „Vertrauen. Wie Politik, Gesellschaft und Wirtschaft der Pandemie begegnen“ von Margaretha Kopeinig erscheint im Oktober im Verlag Kremayr & Scheriau. Laut Bürgermeister Ludwig soll es vor allem wertvolle Hilfe dabei leisten, das Vertrauen in Wissenschaft und Politik wieder zu stärken.
Quelle: Stadt Wien