Wien: Eine kinderrechtstaugliche Schule
Schule neu denken
Der „Aktionstag Bildung“ gibt wieder einmal die Möglichkeit das österreichische Bildungssystem in seiner Gesamtheit aus kinderrechtlicher Sicht zu betrachten. Die zentralen Zutaten einer kinderrechtstauglichen Schule sind nicht nur in Expert*innenkreisen seit vielen Jahren bekannt. Trotz jahrelanger Rufe nach Veränderungen – auch von Seiten der Kinder- und Jugendanwaltschaften Österreichs – gelingt eine grundlegende Umgestaltung des prominentesten Lebensraumes von Kindern und Jugendlichen oft nicht. Die Pandemie und der Lehrkräftemangel machen den Handlungsbedarf jedoch auf dramatische Weise deutlich.
Kinderrechte sind grundlegende Rechte, die allen Kindern, unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem Geschlecht oder anderen Merkmalen zustehen. Sie sind in der UN-Kinderrechtskonvention verankert, welche seitens der Republik Österreich ratifiziert wurde. Gemäß Artikel 29 UN-Kinderrechtskonvention haben Kinder das Recht auf eine ganzheitliche Bildung, die die Entfaltung der Persönlichkeit, der Talente und der geistigen und körperlichen Fähigkeiten ermöglicht, die Achtung der Menschenrechte und Grundsätze der UN-Kinderrechtskonvention vermittelt und die das Kind auf ein verantwortungs-bewusstes Leben in einer freien Gesellschaft im Geiste des Friedens, der Toleranz, der Gleichberechtigung der Geschlechter sowie der Demokratie und Weltoffenheit vorbereitet. Die Schule hat also neben der Wissensvermittlung eine hohe Sozialisationsfunktion und den klaren Bildungsauftrag, junge Menschen im Sinne des Artikel 29 UN-KRK zu unterrichten.
Auch Artikel 14 des österreichischen Bundesverfassungsgesetzes besagt, Kindern solle die „bestmögliche geistige, seelische und körperliche Entwicklung“ ermöglicht werden, „damit sie zu gesunden, selbstbewussten, glücklichen, leistungsorientierten, pflichttreuen, musischen und kreativen Menschen werden, die befähigt sind, […] Verantwortung für sich selbst, Mitmenschen, Umwelt und nachfolgende Generationen zu übernehmen.“
Tatsächlich aber liegt der Fokus auf Konkurrenz und lehrplangemäßen abruf- und messbaren Einzelleistungen statt auf projektorientiertem Unterricht, sozialen Kompetenzen, Partizipation und ganzheitlichem kritischen Denken. Die Folgen sind spätestens seit der Pandemie evident: eine Zunahme an psychischen Belastungen und einer immer größeren Zahl an „abgehängten“ Kindern und Jugendlichen.
Es ist höchst an der Zeit, Schule nicht nur NEU zu denken, sondern nach wissenschaftlichen pädagogischen Erkenntnissen umzubauen und den Lehrplan bedeutend umzudenken. Für eine bessere Schule für alle Kinder und Jugendlichen fehlt es – strukturell bedingt – an grundlegenden Zutaten wie: Anwendung zeitgemäßer didaktischer Methoden, ausreichende Ressourcen an psychosozialem und Gesundheitspersonal an jeder Schule, geringere Gruppengrößen, inklusiver Zugang zur Bildung, individuelle Förderprogramme, einladende Räumlichkeiten und entsprechende Anpassung von Raumgröße an die Anzahl der zu unterrichtenden Schüler*innen. Die seit über 30 Jahren geforderte und noch immer nicht umgesetzte tägliche Bewegungsstunde ist nur ein Beispiel des schwerfälligen Schulsystems, das viel zu wenig an den Bedürfnissen von Kindern orientiert ist.
So ginge es weniger um reine Wissensanhäufung in den klassischen Unterrichtsfächern als vielmehr darum, Neugierde zu wecken, die Möglichkeit aus einem zeitgemäßen Fächerkanon zu wählen, der die individuellen Begabungen jedes Kindes bedient und die wichtigen Fragen unserer Zeit gemeinsam anzugehen: Wie führe ich ein selbstbestimmtes Leben? Wie finde ich Lösungen für komplexe Probleme? Wie kann ich meine Gesundheit und das Gemeinwohl fördern? Wie nutze ich Internet und KI? Wie schütze ich mich und andere vor deren Gefahren? Wie gehe ich mit Geld um? Warum und wieviel Steuern braucht ein Staat, um die Menschen gut zu unterstützen, zu schützen und zu fördern? Wie handle ich richtig und welche ethischen Ansätze leiten mich in meiner Entscheidungsfindung? Wie gehen wir miteinander um und welche Bedeutung hat Partizipation für unser demokratisches und menschenrechtliches Verständnis?
Pädagog*innen sind wichtige Beziehungspersonen, die oftmals als Orientierungshilfen in einer zunehmend komplizierten und schnelllebigen Welt dienen. Und genau diese Beziehungsangebote ermöglichen erfolgreiches Lernen und Wachstum.
Wie wir also unsere zukünftigen Generation bilden und unser Zusammenleben gestalten wollen, muss in der Schule sowohl inhaltlich als auch multidisziplinär und mit allen Partner*innen im Bildungsbereich gemeinsam erarbeitet werden. Wenn Regeln und Rahmungen gemeinsam verhandelt und festgelegt werden, gelingt auch eine Umsetzung. Eine inklusive, partizipative Gestaltung des Schulalltags ist somit das Mittel der Wahl. Die Kinderrechtskonvention garantiert den Schüler*innen auch ein Recht auf Partizipation, welches die Gestaltung des schulischen Lebens, also jenes Ortes, an welchem sie einen großen Teil ihrer Zeit verbringen, mit umfasst. Die Kinder und Jugendlichen müssen hier als Expert*innen respektvoll und wertgeschätzt eingeladen werden, diesen Prozess in ihrer Zeitdimension mit zu erarbeiten. Darüber hinaus normiert die Kinderrechtskonvention ein Recht auf Schutz vor Gewalt. Schulen müssen einen sicheren Ort für alle Schüler*innen darstellen und aktiv Maßnahmen setzen, um Mobbing, Diskriminierung und andere Gewaltformen zu verhindern. Nur durch einen respektvollen und gewaltfreien Umgang miteinander ist ein förderndes Lernen- und Sozialklima möglich, das dem Recht auf bestmögliche Entwicklung und Entfaltung entspricht.
Die Implementierung der Kinderrechte im System Schule erfordert die Zusammenarbeit von Schulleitungen, Lehrkräften, Eltern und Schüler*innen, sowie des gesamten schulischen Systems. Ein erster Schritt wäre eine Aufnahme der Kinderrechte in den Lehrplan, um die Schüler*innen ausreichend über ihre Rechte zu informieren. Beginnen wir JETZT: Alle Kinder sind gleich, kein Kind darf benachteiligt werden - allen Kindern muss ohne Unterschied eine optimale Bildungsentfaltung gesichert werden, zumindest unsere Enkelkinder sollten das erleben.
Quelle: Stadt Wien