Innsbruck: Gleichstellung darf keine Glücksfrage sein


Frauen sind in Führungspositionen nach wie vor unterrepräsentiert. Anlässlich des Internationalen Frauentags sprach Innsbruck informiert mit Vizebürgermeisterin Elisabeth Mayr und der Rektorin der Universität Innsbruck, Veronika Sexl, über strukturelle Hürden, Vorbilder und Selbstvertrauen.
Frau Sexl, Sie sind seit 2023 die erste Rektorin der Universität Innsbruck. Welche Momente haben Ihren Weg besonders geprägt?
Sexl: Ein entscheidender Moment war mein mehrjähriger Aufenthalt in den USA. Dort habe ich erlebt, dass eine wissenschaftliche Karriere und Familie vereinbar sind – es wurde nicht thematisiert, es war einfach normal. Das hat mir viele Rollenvorbilder gegeben, die für mich wegweisend waren. Mein erstes Kind ist auch in den USA geboren.
Frau Mayr, in der Kommunalpolitik sind Frauen weiterhin unterrepräsentiert. Mussten Sie sich als Frau stärker beweisen?
Mayr: Definitiv, besonders in Gremien, in denen ich fast nur männlichen Kollegen gegenübersaß. Wenn es dann beispielsweise um Unterstützungen für Alleinerzieherinnen ging, musste ich mich oft besonders durchsetzen. Ich habe zwei ältere Brüder, das hat mich auf solche Auseinandersetzungen vorbereitet.
In der Wissenschaft und Politik wird oft von einer „gläsernen Decke“ gesprochen, die Frauen den Aufstieg in Führungspositionen erschwert. Haben Sie diese Hürden selbst erlebt?
Sexl: Die gläserne Decke ist real und sie ist sehr dick. Ich hatte Glück, sonst säße ich nicht hier. Es ist auch interessant, dass ich hier das Wort "Glück" benutze – eine Formulierung, die typisch für Frauen ist. Männer sagen oft "Ich habe es geschafft", während Frauen häufiger von Glück sprechen. Das zeigt, wie tief verankert diese Muster sind. Wir brauchen tiefgreifende strukturelle Veränderungen, damit der Aufstieg von Frauen nicht mehr als Glücksfall wahrgenommen wird, sondern als Ergebnis von Kompetenz und Leistung.
Mayr: Genau das ist der Punkt. Gleichstellung darf keine Glücksfrage sein! Es muss politisch alles dafür getan werden, dass es keine Frage des Zufalls ist, ob Frauen Karriere machen können. Besonders in der Politik sehe ich oft, dass Frauen für ihre Leistungen anders bewertet werden. Entscheidungen oder Vorschläge von Frauen werden häufiger hinterfragt, während Männer mit ähnlichen Positionen oft mehr Autorität zugeschrieben bekommen. Das führt dazu, dass Frauen sich stärker beweisen müssen, um die gleiche Anerkennung zu erhalten.
Das führt uns schon zur nächsten Frage. Frauen in Führungspositionen werden oft anders wahrgenommen. Haben Sie das selbst erlebt?
Sexl: Ja, täglich. Studien zeigen, dass Frauen schlechter bewertet werden, wenn ihr Name bekannt ist – bei anonymisierten Forschungsanträgen schneiden Frauen besser ab. Frauen werden oft nach anderen Maßstäben beurteilt als Männer – und das nicht nur in Führungspositionen, sondern in vielen Bereichen des Lebens.
Mayr: Das bestätigt meine Erfahrung. Gerade in der Politik ist das besonders spürbar. Frauen werden oft nicht nur nach ihren fachlichen Kompetenzen beurteilt, sondern auch nach persönlichen Faktoren, die bei Männern kaum eine Rolle spielen. Ihr Auftreten, ihr Kleidungsstil oder sogar ihre Stimme können in der öffentlichen Wahrnehmung stärker gewichtet werden als ihre inhaltlichen Argumente. Das macht es für Frauen schwieriger, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und erhöht den Druck, stets perfekt auftreten zu müssen. Hier brauchen wir einen Kulturwandel, um Frauen dieselben Spielräume und Bewertungskriterien wie Männern zu ermöglichen.
Wie kann Frauenförderung konkret aussehen?
Sexl: An der Universität Innsbruck setzen wir auf mehrere Maßnahmen: bessere Kinderbetreuungsmöglichkeiten, Mentoring-Programme und gezielte Berufungen von Frauen in Professuren, um mehr Rollenvorbilder zu schaffen. Frauen müssen sehen, dass sie in der Wissenschaft genau am richtigen Ort sind.
Mayr: Auch auf kommunaler Ebene ist Kinderbetreuung ein Schlüsselfaktor – nicht nur ein Frauenthema, aber wenn es an Plätzen mangelt, trifft es Frauen besonders. Deshalb setzen wir uns für einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung ein. Besonders freut mich unser neuer MINT-Schwerpunkt im Kindergarten und Schülerhort Angergasse, der Mädchen ermutigen soll, sich früh für Naturwissenschaft und Technik zu begeistern.
Sexl: Männer in Führungspositionen haben zu mehr als 95 Prozent Kinder, Frauen in Führungspositionen jedoch zu weniger als 50 Prozent. Das zeigt, wie groß die systemischen Hürden sind.
Welche Ratschläge haben Sie für junge Frauen, die Karriere in Wissenschaft oder Politik machen wollen?
Sexl: Sich selbst vertrauen! Ich liebe das Zitat von Pippi Langstrumpf: „Das habe ich noch nie vorher versucht. Also bin ich völlig sicher, dass ich das schaffe.“ Türen, die sich öffnen, sollte man einfach durchschreiten.
Mayr: Ein weiteres schönes Zitat stammt von Hilde Domin: „Ich setzte den Fuß in die Luft, und sie trug.“ Frauen sollten einander Mut machen. Und es braucht auch Männer, die sich solidarisch zeigen.
Wenn Sie in zehn Jahren zurückblicken – was soll sich verändert haben?
Sexl: Dass wir nicht mehr über Gleichstellung sprechen müssen, weil sie gelebte Realität ist.
Mayr: Ja, Gleichstellung ist dann erreicht, wenn sie kein Thema mehr ist. Bis dahin müssen wir dranbleiben – mit der Zuversicht, dass jeder Schritt zählt.
Gibt es noch etwas, das Sie den Leserinnen und Lesern mitgeben möchten?
Sexl: Bleibt selbstbewusst, geht mutig euren Weg und lasst euch nicht beirren!
Mayr: Und ich hoffe, dass es irgendwann selbstverständlich ist, eine Rektorin oder eine Bürgermeisterin zu haben!
Quelle: Stadt Innsbruck