Jüdische Frauenvereine – Zeugnisse jüdischer Wohltätigkeit in Wien
Neuer Schwerpunkt im Wien Geschichte Wiki beleuchtet wichtigen Aspekt des jüdischen Wohlfahrtswesens
Jüdische Frauenvereine sind in Österreich seit dem frühen 19. Jahrhundert belegt. Sie widmeten sich vor allem der Wohltätigkeit und Frömmigkeit. Das jüdische Vereinsleben in Wien von circa 1816 bis 1938 ist ohne Frauenvereine nicht vorstellbar. Nahezu das gesamte Wohlfahrtswesen innerhalb der jüdischen Gemeinde Wiens wurde bis zu dessen – durch die Nationalsozialisten erzwungener – Zerschlagung von Frauen getragen.
Die im Wiener Stadt- und Landesarchiv vorhandenen Vereinsakten wie auch jüdische Zeitungen dokumentieren das große Engagement jüdischer Frauen. Darunter fiel das Ansammeln finanzieller Mittel, die Organisation von Veranstaltungen und die Verteilung der Vereinsmittel an bedürftige Mädchen und Frauen. Die Nutznießerinnen waren vor allem Waisen- und Halbwaisen, arme „Wöchnerinnen“, arme Bräute, Witwen sowie erwerbslose und alte, arme, vereinsamte Frauen. Ein wesentlicher Teil des Vereinszwecks war auch der Ausbildung von Mädchen gewidmet. In der jüdischen Tradition ist das religiöse Selbstverständnis unmittelbar mit dem Anspruch verbunden, täglich Gutes (hebräisch: Mitzwot) zu tun. Die Vereinstätigkeit war meist stark an das traditionelle jüdische Leben gebunden. Besondere Sammelaktionen und Veranstaltungen gab es bis 1938 zu den hohen jüdischen Feiertagen, zu den Pessach-, Chanukka- und Purimfesten.
Kein emanzipatorischer Anspruch
Jüdische Frauenvereine in Wien vertraten keine revolutionären, emanzipatorischen Ziele. Sie strebten nicht die Herauslösung der Frau aus ihrer traditionell religiösen Rolle als Fürsorgende für Ehemann und Kinder an. Stattdessen bildeten sie soziale Gefüge, in denen sich Frauen und Mädchen getrennt von den Männern entwickeln konnten. Die ihnen zugeschriebene Rolle wurde jedoch nicht infrage gestellt.
Die Entwicklung der Frauenvereine in Wien
Der älteste Frauenverein war der 1816 in Wien gegründete „Israelitische Frauenwohltätigkeitsverein“. In ihm wirkten zahlreiche bereits durch die Spendenfreudigkeit ihrer Ehemänner in der Öffentlichkeit bekannte Frauen wie zum Beispiel Charlotte Königswarter, geborene Edle von Wertheimstein, oder Bettina de Rothschild. Durch die immer stärker werdende Zuwanderung von jüdischen Familien aus den östlichen Kronländern der k. u. k Donaumonarchie entstand 1870 der von fünf „Kaufmannsgattinnen“ gegründete „Israelitische Frauenverein Greisinnenfürsorge“ zugunsten alter, verarmter Frauen der „polnisch-jüdischen Nationalität“.
Die meisten Frauenvereine lassen sich zunächst in dem seit dem 17. Jahrhundert traditionellen jüdischen Wohnbezirk Leopoldstadt, gefolgt von der Brigittenau, verorten. Nach und nach bildeten sich in den meisten Wiener Bezirken jüdische Frauen-Wohltätigkeitsvereine. Der Vereinssitz war oft in den Gebäudekomplexen der großen Synagogen angesiedelt.
Von Frauen begründete jüdische Fürsorgeinstitutionen
Zahlreiche Frauen bildeten das eigentliche Rückgrat in den jüdischen Wohlfahrtsvereinen und deren Einrichtungen für Kinder, Behinderte und junge Mädchen. Sie führten die Buchhaltung, kümmerten sich um Freiplätze und um die materielle Ausstattung. Viele arbeiteten selbst in entsprechenden Berufen als Pädagoginnen, Fürsorgerinnen und Kinderbetreuerinnen.
Als Beispiele für derartige Fürsorgevereine sind etwa das „Kaiserin Elisabeth-Heim für Kriegswaisen, Lehrmädchen und jugendliche Arbeiterinnen“, der „Theresien-Kreuzer-Verein zur Unterstützung armer israelitischer Kinder und Ermöglichung einer Schulbildung“ oder der „Verein zur Versorgung hilfsbedürftiger israelitischer Waisen in Wien“ zu nennen.
Anschluss und Novemberpogrom 1938
Die vielen jüdischen Frauenvereine bestanden bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten. Bereits im März und April 1938 wurden ihre Büros durch wilde Arisierungen von Gestapo, SA und Hitlerjugend brutal geschlossen und ihr Vermögen geraubt. Besonders tragisch daran war, dass damit plötzlich ein wesentlicher Einkommensbestandteil vieler Frauen wegfiel. Bittere Armut war die Folge. Das endgültige Ende aller Frauenvereine war mit der angeordneten Auflösung aller jüdischen Vereine 1938/1939 besiegelt.
Jüdische Frauenvereine in Wien nach dem Zweiten Weltkrieg
Nur ganz wenige der 1938 bestehenden Frauenvereine wurden nach 1945 reorganisiert, darunter die bis heute noch sehr aktive „WIZO Women’s International Zionist Organisation“. Auf der Website der Israelitischen Kultusgemeinde Wien befinden sich mit Stand Oktober 2021 je nach Definition und Abgrenzung drei jüdische Frauenvereine.
Jüdische Frauenvereine im Wien Geschichte Wiki
Seit September 2021 wird die Geschichte von über 30 Frauenvereinen, die bis 1938 bestanden, im Wien Geschichte Wiki bereitgestellt. Hier findet man sowohl eine Auflistung der Vereine als auch eine virtuelle Karte. Durch Anklicken der einzelnen Einträge öffnen sich Vereinsgeschichten. Auch Biografisches zu Vereinsfunktionärinnen, Tätigkeitsberichte und Aktivitäten aus den digitalisierten jüdischen Zeitungen können gefunden werden. Damit wurde nach den Synagogen und Bethäusern ein weiterer zentraler Bereich des vielfältigen jüdischen religiösen Lebens in Wien im Wien Geschichte Wiki sichtbar gemacht.
https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Jüdische_Frauenvereine
Quelle: Stadt Wien