Wien: Patient*innenanwalt Jelinek - „Die Entwicklungen im Gesundheits- und Pflegebereich hinterlassen einen ambivalenten Eindruck“
Wiener Patient*innenanwalt Gerhard Jelinek legt Bericht der Wiener Pflege- und Patient*innenanwaltschaft für 2023 vor
Der Wiener Pflege- und Patient*innenanwalt, Dr. Gerhard Jelinek, legte heute dem Wiener Landtag den Bericht der unabhängigen Wiener Pflege- und Patient*innenanwaltschaft (WPPA) über ihre Tätigkeit im Jahr 2023 vor. Die darin von Patientinnen und Patienten vorgebrachten Beschwerden zeichnen ein Bild der andauernden Herausforderungen für das Wiener, aber auch insgesamt das österreichische Gesundheitssystem.
Mangel an Personal und Medikamenten
„Das Berichtsjahr hinterlässt für Beobachter*innen der Entwicklungen im Gesundheits- und Pflegebereich einen ambivalenten Eindruck“, resümiert der Patient*innenanwalt. „Neben den negativen Auswirkungen durch die andauernden, erheblichen Personalprobleme im Bereich der Ärzt*innenschaft, des Pflegedienstes und sonstiger Gesundheitsdienste-Anbieter, neben zeitweise beträchtlichen Versorgungslücken bei Medikamenten und missglückten Impfkampagnen, gab es auch erfreuliche Aspekte“, so Jelinek. „Dazu zählten eine von allen Beteiligten grundsätzlich positiv kommentierte Gesundheitsreform im Gefolge des Finanzausgleichs, respektable Gehaltsabschlüsse für Pflegekräfte und Ärzt*innen und eine Entspannung der krisenhaften Situation in der Wiener Ärztekammer“, so der Patient*innenanwalt.
Fast 3 Mio. Euro Entschädigung für Patient*innen
Im Berichtsjahr 2023 gab es über 8.500 Anfragen an die WPPA, 2.917 Fälle wurden auch aktenmäßig erfasst. Fast 900 Beschwerden hatten Behandlungsfehler zum Gegenstand. Von den noch im Berichtsjahr erledigten knapp 500 Beschwerden konnte die WPPA in 62 Fällen außergerichtlich eine Entschädigung aushandeln, 19 Fälle wurden im Patientenentschädigungsfonds behandelt und erledigt. In knapp 400 Fällen ergaben sich nach Prüfung keine Anhaltspunkte für Behandlungsfehler. Insgesamt erwirkte die WPPA für Geschädigte 2023 Entschädigungen in Höhe von rund EUR 2.909.000.-.
„Viele Problemfelder des Vorjahres zeigten sich auch im aktuellen Berichtsjahr bei den Beschwerden, wenngleich es in einigen Bereichen große Anstrengungen für Verbesserungen gab“, so Jelinek. Ein zentrales Thema in den aktenmäßig erfassten Beschwerden nahm die Verrechnungsproblematik ein: Kostenablehnungen seitens der Sozialversicherung, abgelehnte Kuraufenthalte, monatelanges Warten auf die Erstattung der Wahlärzt*innenhonorare oder auf Pflegegeld-Bescheide.
Bitte warten!
„Bitte warten!“ hieß es leider auch wieder bei Terminen bei Fachärzt*innen, bei Operationsterminen und bei MRT-/CT-Untersuchungen, außerdem bei Terminen für Strahlentherapie und in Spitalsambulanzen. Bei der Medikamentenversorgung brauchten Patient*innen Zeit, die sie krankheitsbedingt – wie z.B. im Fall von Paxlovid während der Covid-19-Welle - oftmals nicht haben. Patient*innen, deren Diabeteserkrankung mit Ozempic behandelt wird, schilderten, wie sie Monat für Monat zittern müssen, ob sie die Behandlung damit fortsetzen können oder therapeutisch kurzfristig auf weniger geeignete Alternativen umgestellt werden müssen.
Kindergesundheit: Mangel an Ärzt*innen, Medikamenten und Therapieplätzen
Bei der Kindergesundheit zeigten sich im Berichtsjahr gleich mehrere Brennpunkte, die mittlerweile schon jahrelang bestehen. So hat sich die extramurale Versorgung von Kindern durch Kinderärzt*innen mit Kassenvertrag nicht merklich verbessert. Beschwerdeführer*innen schilderten, in manchen Wiener Bezirken keine Ärzt*innen für ihre Kinder mehr zu finden und besonders am Wochenende gezwungen zu sein, mit ihren Kindern eine Spitalsambulanz aufzusuchen. Bei Arzneimitteln für Kinder wie Antibiotika oder zur Behandlung respiratorischer Infekte, die seit der Covid-Pandemie gehäuft auftreten, herrschte mehrmals im Jahr eingeschränkte oder gar keine Verfügbarkeit - mit unangenehmen, vermeidbaren Nebenwirkungen und gesundheitlichen Spätfolgen für die Kinder, wenn sie nicht adäquat medizinisch versorgt werden können.
Jelinek: „Im vierten Jahr seit Corona kann dieser Medikamentenmangel nicht mehr durch überraschende oder unvorhergesehene Veränderungen im Infektionsgeschehen erklärt werden.“ Auch das Angebot an Therapieplätzen für Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie auf Kasse und in der Behandlung von Kindern mit Autismus-Spektrum-Störung ist weit davon entfernt, den Bedarf zu decken und bleibt damit für viele unerschwinglich. Die Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit psychiatrischen Erkrankungen sowohl im stationären wie im ambulanten Bereich mit Kostenübernahme durch die Sozialversicherung ist angesichts der an die WPPA herangetragenen Fälle dringend auszubauen.
Integration von Covid-19 ins Gesundheitssystem
Obwohl 2023 die Situation hinsichtlich schwerer Covid-19-Krankheitsverläufe im Vergleich zu den Vorjahren entspannter war, gibt es bei der Integration von Long-Covid-Patient*innen in das Gesundheitssystem noch an vielen Stellen Lücken. Die WPPA begrüßt den Aufbau eines nationalen Referenzzentrums für postinfektiöse Erkrankungen zur Schaffung einer besseren Datenlage. Aber wie die Beschwerden von Long-Covid-Erkrankten zeigen, fehlt es in manchen Bereichen noch an Wissen und an der Infrastruktur für eine interdisziplinäre Patient*innenversorgung. Die Pflegegeldbegutachtung kann sich bei Long-Covid-Patient*innen über einen unzumutbar langen Zeitraum erstrecken und Beschwerden der Long-Covid-Patient*innen werden zum Teil noch immer psychischen Erkrankungen zugeschrieben. „Im Bereich der Prävention muss der Zugang zur Impfung für immobile Patient*innengruppen durch mobile Impfteams in Zukunft wieder geöffnet werden - ob bei der Covid19-Impfung oder der Grippeimpfung“, so der Patient*innenanwalt angesichts gehäufter Beschwerden.
Aufgaben der WPPA
Die WPPA informiert und berät kostenlos in allen Fragen zum Wiener Gesundheitswesen einschließlich des Pflegebereichs. Sie unterstützt Patient*innen bzw. Bewohner*innen sowie deren Angehörige bei der Klärung vermuteter medizinischer oder pflegerischer Behandlungsfehler sowie bei der außergerichtlichen Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen. Sie vermittelt bei Konflikten und prüft Mängel oder Missstände im Pflege- und Gesundheitswesen. Der gesamte Tätigkeitsbericht 2023 der WPPA ist abrufbar unter: www.patientenanwaltschaft.wien.at
Quelle: Stadt Wien