Wien: Patient*innenanwalt Jelinek - Personalmangel und Mehrklassenmedizin – Es braucht kreative, flexible und rasche Lösungen
Wiener Patient*innenanwalt Gerhard Jelinek legt Bericht der Wiener Pflege- und Patient*innenanwaltschaft für 2022 vor
Der neue Wiener Patient*innenanwalt, Dr. Gerhard Jelinek, legte dem Wiener Landtag am 21.06.2023 den Bericht der unabhängigen Wiener Pflege- und Patient*innenanwaltschaft (WPPA) über ihre Tätigkeit im Jahr 2022 vor. Die darin von Patienten und Patientinnen vorgebrachten Beschwerden spiegeln die Schwierigkeiten und Herausforderungen wider, vor denen das Wiener, aber auch insgesamt das österreichische Gesundheitssystem, steht.
Die WPPA informiert und berät kostenlos in allen Fragen zum Wiener Gesundheitswesen einschließlich des Pflegebereichs. Sie unterstützt Patient*innen bzw. Bewohner*innen sowie deren Angehörige bei der Klärung vermuteter medizinischer oder pflegerischer Behandlungsfehler sowie bei der außergerichtlichen Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen. Sie vermittelt bei Konflikten und prüft Mängel oder Missstände im Pflege- und Gesundheitswesen.
Personalmangel
Im Berichtsjahr 2022 gab es insgesamt 9.691 Anfragen an die WPPA, 2.973 Fällen wurden aktenmäßig erfasst. Sowohl im Spitalsbereich als auch im niedergelassenen Bereich erhoben viele Beschwerden den Vorwurf einer Mehrklassenmedizin. Dies betraf insbesondere überlange Wartezeiten auf radiologische Untersuchungen und OP-Termine bzw.- Verschiebungen. Bedenkliche Verzögerungen wären hier oft nur durch private Kostenübernahme möglich. Überfüllte Ambulanzen, Abweisungen in überlasteten Notaufnahmen, überlange Wartezeiten auf Krankentransporte, Bettensperren in erheblichem Ausmaß, ein Anstieg interner Gefährdungsanzeigen und Kommunikationsmängel zeigten deutlich den Personalmangel in allen gesundheitsberuflichen Bereichen, vor allem aber den Mangel an Pflegekräften auf. „Neue Mitarbeiter auszubilden ist ein Projekt auf Jahre“, so Gerhard Jelinek. Außerdem bestehe die Gefahr, dem Bedarf immer hinterherzuhinken. Für rasche Abhilfe sei es notwendig, die Rahmenbedingen für den Pflegeberuf deutlich zu verbessern. Dann könnte es auch gelingen, abgewanderte Pflegekräfte wieder zurückzuholen. „Qualifizierte Migration muss ebenso gefördert werden wie die rasche Nostrifizierung der Ausbildung von EU-Staatsbürgern, die in der Pflege tätig sein wollen“, fordert der Wiener Patient*innenanwalt. Kreative Lösungen wären aber auch nötig, um den Mangel an Kassenärzt*innen zu beheben. Dies reiche von geänderten Ordinationszeiten über Veränderungen im Leistungskatalog bis zu den ohnehin stark geförderten Primärversorgungseinrichtungen. All dies erfordere die Bereitschaft aller Entscheidungsträger, gemeinsam und rasch Verhandlungen über veränderte Rahmenbedingungen zu führen, ohne weiterhin nur Partikularinteressen zu verfolgen.
Neue Wege in der Medikamentenbeschaffung
Im niedergelassenen Bereich zeigten Beschwerden neben dem Fehlen von ausreichend Kassenärzt*innen einen - zeitweise dramatischen – Medikamentenmangel auf. Beides betrifft besonders gravierend die Gesundheitsversorgung von Kindern und Jugendlichen. Die vielfach diskutierte Rückholung der Arzneimittelproduktion nach Europa scheint – wenn überhaupt – nur sehr langfristig möglich. „Der schon viel zu lange andauernde und sich jährlich wiederholende Medikamentenmangel verlangt neue, schnell umsetzbare Lösungen, wie die Anlegung ausreichender Rohstofflager für die wichtigsten Medikamente. So könnte auf überraschende Engpässe flexibel reagiert werden.“ Auch Vor- und Nachteile der Wirkstoffverschreibung müssten sachlich und umfassend diskutiert werden.
Erfolge und zähe Prozesse
Im Jahr 2022 wurden in insgesamt 244 Schadensfällen finanzielle Entschädigungen in einer Gesamthöhe von rd 2,3 Mio Euro für die Patienten und Patientinnen ausgehandelt. Dazu trugen auch die 82 Fälle bei, mit denen der Patientenentschädigungsfonds befasst wurde und die zu Entschädigungen in der Höhe von knapp 1,2 Mio Euro führten sowie – in 3 Fällen – Entschädigungen von in Summe 64.000 Euro aus dem Wiener Härtefonds. Der Patient*innenanwalt fordert weiterhin die Ausweitung des Anwendungsbereichs des Patientenentschädigungsfonds auch auf Behandlungen im niedergelassenen Bereich und im Fall von Komplikationen in Privatspitälern.
Sehr unbefriedigend ist für die WPPA auch die Situation hinsichtlich anderer Beschwerdefälle, die sie seit über zwei Jahren begleitet. So gab schon im Jahr 2021 die Firma Philips Respironics eine Sicherheitswarnung zu Heimbeatmungsgeräten heraus, von der rund 25.000 Patient*innen allein in Österreich betroffen waren oder sind. Der Austausch aller Geräte wurde gestartet, da die Gefahr besteht, dass ein Mangel mitunter zu schweren Gesundheitsschäden bei den Benutzer*innen führt. Bis heute kann das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) nicht bestätigen, dass alle Geräte durch den Hersteller ausgetauscht wurden. Andererseits wurden Patient*innen, die ihre Geräte retourniert haben, nicht über den Zustand des retournierten Geräts informiert. „Der Weg zu einem möglichen Schadenersatz wurde ihnen damit de facto genommen“, erklärt der Wiener Patient*innenanwalt.
Der gesamte Tätigkeitsbericht 2022 der WPPA ist abrufbar unter: www.patientenanwaltschaft.wien.at
Quelle: Stadt Wien