Sexuelle Gesundheit: Reden als Chance
Foto: AIds Hilfe Wien/Johanna Lea Lassnig
Foto: AIds Hilfe Wien/ Johanna Lea Lassnig
Foto: Aids Hilfe Wien/ Johanna Lea Lassnig
Fachkonferenz von Aids Hilfe Wien und dem Wiener Programm für Frauengesundheit holt Ärzt*innen und Gesundheitspersonal ins Boot
Die Aids Hilfe Wien und das Wiener Programm für Frauengesundheit (MA24) bringen Mediziner*innen und Fachleute des Gesundheitswesens zusammen, um sexuelle Gesundheit in den Fokus zu rücken. Denn offen über sexuelle Bedürfnisse, Probleme und Ängste zu reden, gestaltet sich für viele Menschen schwierig – sei es im privaten Umfeld oder im Gespräch mit Fachleuten aus dem Gesundheitsbereich. Eine Fachkonferenz am 1. Dezember, dem Welt-AIDS-Tag, unter dem Titel „Lust auf Reden: Sexualität und Intimität im Kontext von physischer und psychischer Gesundheit“ in der Klinik Floridsdorf regt mittels Fachvorträgen zum Austausch an. Im Rahmen eines Pressegesprächs am 16. November informierten einige Projektpartner*innen über die Bedeutung der Fachkonferenz, welche Problemlagen rund um das Thema sexuelle Gesundheit mehr Beachtung im öffentlichen Diskurs finden sollten und was es konkret braucht, um in diesem Bereich nachhaltige Änderungen zu bewirken.
Das Problem mit dem Tabu
Sexualität ist ein Grundbedürfnis und Ausdrucksform für viele Menschen. Offen über sexuelle Bedürfnisse, Probleme und Ängste zu reden gestaltet sich aber häufig schwierig – sei es im privaten Umfeld oder im Gespräch mit Fachleuten wie Mediziner*innen, Psychotherapeut*innen und Psycholog*innen. Aber: sexuelle Gesundheit ist untrennbar mit Wohlbefinden und Lebensqualität verbunden. Seit über 20 Jahren fordert die WHO deshalb, sexuelle Gesundheit als Teil der allgemeinen Gesundheit zu begreifen. Letztes Jahr startete die Aids Hilfe Wien mit Unterstützung des Dachverbands der Sozialversicherungsträger die Kampagne Lust auf Reden. Gemeinsam für sexuelle Gesundheit! 2023 liegt der Schwerpunkt der Kampagne auf Information und Weiterbildung von Gynäkolog*innen bezüglich der Wechselwirkungen zwischen sexueller Gesundheit und chronischen, gynäkologischen sowie psychischen Erkrankungen. Dies beinhaltet die Erstellung von Videos in Kooperation mit dem Wiener Programm für Frauengesundheit, die Erweiterung der Webseite www.lustaufreden.at um chronische Erkrankungen, sowie die Organisation einer Fachkonferenz.
Sexuelle Gesundheit am Welt-AIDS-Tag beleuchten
Dass die Fachkonferenz am Welt-AIDS-Tag stattfindet sei kein Zufall, denn der Aids Hilfe Wien ist es an diesem Tag besonders wichtig, über sexuelle Gesundheit zu reden, erörterte Mag.a Andrea Brunner, Geschäftsführerin der Aids Hilfe Wien im heutigen Pressegespräch: „Wenn man über HIV und andere sexuell übertragbare Infektionen spricht, ist es notwendig, auch über sexuelle Gesundheit zu reden.“ Und: sexuelle Gesundheit setze eine positive und respektvolle Haltung zu Sexualität und sexuellen Beziehungen voraus, es gehe also nicht bloß um die Abwesenheit von Krankheit. Für die Aids Hilfe Wien sei es daher wichtig, sichere Räume zu schaffen, um über Bedürfnisse und Probleme zu sprechen, aber auch aufzuklären: „Gerade bei Menschen, die mit HIV – einer mittlerweile chronischen Erkrankung – leben, verändert sich auch heute noch häufig das Sexualleben. Das müsste aber nicht zwangsläufig sein: Mit neuen Präventionsmethoden wie ‚Treatment as Prevention‘ oder der HIV-Präexpositionsprophylaxe ist eine Übertragung von HIV fast gänzlich auszuschließen. Was wir häufig noch erleben sind (Selbst-)Stigmatisierung und Ausgrenzung. Daher ist es der Aids Hilfe Wien am Welt-AIDS-Tag besonders wichtig, die sexuelle Gesundheit von Menschen, die mit HIV leben, zu thematisieren, aber auch Sexualität aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten.“
Alleingelassen mit sexuellen Problemen
Weibliche sexuelle Selbstbestimmung ist ein wichtiger Aspekt der sexuellen Gesundheit. Das bedeutet auch, über schwierige Emotionen oder Probleme wie körperliche Einschränkungen, im Zusammenhang mit Sexualität und Intimität sprechen zu dürfen. Leider ist das viel zu selten der Fall. Frauen, die aufgrund einer chronischen Krankheit in ihrer Sexualität verunsichert sind oder Schwierigkeiten bzw. Veränderungen erleben, brauchen Unterstützung und sollten gut informiert werden, betonte Mag.a Kristina Hametner, die Leiterin des Wiener Büros für Frauengesundheit und Gesundheitsziele im heutigen Pressegespräch. Sie unterstrich besonders: „Gerade die weibliche Sexualität ist noch stark mit Tabus besetzt, besonders im Zusammenhang mit Krankheit. Studien belegen, dass Frauen im Gesundheitssystem nach ihren Problemen im Bereich der Sexualität und Intimität gefragt werden wollen. Das geschieht aber viel zu selten. Wer etwa Schmerzen hat oder unter Unsicherheit leidet, sollte ohne Beschämung in einem sicheren Rahmen kompetent beraten werden. Wir wollen Frauen unterstützen, frei und selbstbewusst über ihre Bedürfnisse zu reden.“
Daher unterstütze das Wiener Programm für Frauengesundheit die Kampagne der Aids Hilfe Wien, die maßgeblich dazu beiträgt, dass sexuelle Gesundheit nicht nur in der Allgemeinbevölkerung, sondern auch im medizinischen Alltag mitgedacht wird. Besonders freute es Mag.a Hametner „dass wir – gemeinsam mit der Aids Hilfe Wien – eine Fachkonferenz veranstalten. Am Welt-AIDS-Tag, dem 1. Dezember, schaffen wir eine Möglichkeit, Mediziner*innen und Angehörigen von Gesundheitsberufen mit Vorträgen und Workshops zu vermitteln, wie stark die allgemeine Gesundheit mit der sexuellen Gesundheit verwoben ist.“
Sexualanamnese als Chance – Warum ein Fokus auf Gynäkolog*innen?
Persönliches Wohlbefinden – auch im Bereich Sexualität – ist wichtig für die Gesundheit. Fehlende sexuelle Gesundheit oder Zufriedenheit sind Faktoren für viele weitere Erkrankungen, sei es psychischer oder physischer Natur. Ärzt*innen sehen in ihrer täglichen Arbeit, dass besonders bei jungen Menschen die Unzufriedenheit rasant zunimmt. Zu beobachten sind unrealistische Erwartungshaltungen an die persönlichen Ressourcen sowie ein stetig steigender Leistungsdruck.
Es sind vor allem Gynäkolog*innen, die in regelmäßigem Austausch mit Frauen über intime Themen reden. Da wäre es naheliegend, auch Sexualität und sexuelle Gesundheit anzusprechen, etwa durch eine ausführliche Sexualanamnese. Oft fehle aber die Zeit dafür, weil der Fokus der Honorierungen immer noch auf medizinisch-technischen Leistungen anstatt auf Gesprächsmedizin liegt.
Dazu betonte MR Dr. Georg Braune, Fachgruppenobmann für Frauenheilkunde und Geburts-hilfe der Ärztekammer für Wien im heutigen Pressegespräch: „Gynäkolog*innen sind eine der wichtigsten Anlaufstellen für Frauen und haben eine Vertrauensbeziehung zu ihnen. Wir wissen, dass gynäkologische Erkrankungen die Sexualität und das Wohlbefinden beeinflussen können und reden auch über andere Erkrankungen mit unseren Patientinnen – warum also nicht auch über sexuelle Gesundheit? Eine ausführliche, standardmäßige Sexualanamnese könnte dazu beitragen, sexuelle Gesundheit aus der Tabuzone zu holen und zu normalisieren. Daher ist es der Ärztekammer für Wien ein besonderes Anliegen, die Informationsbroschüre sowie die Fortbildung für Gynäkolog*innen und natürlich die Fachkonferenz zu unterstützen. Wünschenswert wäre es zudem, dass die Sozialversicherung die Relevanz dieser Gespräche anerkennt und entsprechend unterstützt, damit wir unseren Patientinnen diese Zuwendungsmedizin auch bieten können!“
Sexualität, die unterschätzte Gesundheitsressource
Univ.Prof.in.Dr.in Michaela Bayerle-Eder, Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft zur Förderung der Sexualmedizin und der sexuellen Gesundheit (ÖGFSSG) und Fachärztin für Innere Medizin unterstrich im heutigen Pressegespräch, dass bis zu 130.000 Frauen in Wien und 600.000 Frauen in ganz Österreich im Alter von 40 bis 64 Jahren unter Sexualfunktionsstörungen leiden, was sich negativ auf ihre Lebensqualität auswirkt. Andererseits würden sexuell gesunde Menschen ein längeres und produktiveres Leben führen, sie seien arbeitsfähiger und neigten weniger zu Krankheiten, was letztlich zu geringeren Gesundheitskosten führe. Als weiteren wichtigen Punkt nannte sie zudem, dass die sexuelle Gesundheit seit 2006 in der WHO-Definition für Gesundheit verankert sei. Sie verwies auf die daraus resultierende Verpflichtung für sämtliche medizinisch tätigen Fachkräfte, wonach die Sexualfunktion als ein essentieller Bestandteil zur Erhaltung der Gesundheit betrachtet und entsprechend „behandelt“, oder im Rahmen von medizinischen Interventionen zur Erhaltung der sexuellen Gesundheit berücksichtigt werden müsse. Diese Verpflichtung, so Dr.in Bayerle-Eder, solle in sämtlichen medizinischen Bereichen konsequent umgesetzt werden.
Des Weiteren hob Dr.in Bayerle-Eder die Notwendigkeit hervor, dass sexualmedizinische Beratungsleistungen für Ärzt*innen abrechenbar sein sollten, sofern diese eine entsprechende zertifizierte Ausbildung als ärztliche Berater*innen absolviert haben. Sie sagte: “Sexualmedizin muss nicht nur salonfähig, sondern auch leistbar werden.”
Gerade chronisch kranke und ältere Menschen hätten Bedürfnisse nach Nähe und Sexualität: eine Tatsache, die gerne ignoriert oder einfach vergessen wird. Es sei daher wichtig, über sexuelle Gesundheit zu sprechen, denn Sexualität und Berührung wirkten sich positiv auf die Genesung aus, zeigte sich Dr.in Bayerle-Eder, überzeugt: „Mein Appell ist: Reden Sie darüber, weil Störungen der Sexualfunktion auf Krankheiten hinweisen können und Sexualität positive Auswirkungen auf die Gesundheit und Heilung haben kann!“
Fachkonferenz rückt sexuelle Gesundheit ins Rampenlicht
Am 1. Dezember, dem Welt-AIDS-Tag, veranstaltet die Aids Hilfe Wien gemeinsam mit dem Wiener Programm für Frauengesundheit (MA24) in der Klinik Floridsdorf eine Fachkonferenz zum Thema „Lust auf Reden. Sexualität und Intimität im Kontext von physischer und psychischer Gesundheit.“ Ziel dieser Fachkonferenz ist es, Mediziner*innen und Angehörige von Gesundheitsberufen über das Zusammenspiel von sexueller Gesundheit bei HIV, STI, chronischen, gynäkologischen sowie psychischen Erkrankungen aufzuklären und zum Austausch anzuregen.
Konkrete Schwerpunkte sind:
- Leben und lieben mit HIV und STI (sexuell übertragbare Krankheiten)
- Die Erhaltung von guter Sexualität bei chronischen Erkrankungen
- Möglichkeiten, das Gespräch über Sexualität mit Patient*innen zu gestalten
Die Fachkonferenz wird vom Wiener Büro für Frauengesundheit und Gesundheitsziele und der Aids Hilfe Wien organisiert – in Kooperation mit dem Wiener Gesundheitsverbund sowie der Ärztekammer für Wien.
Die Konferenz findet am Freitag, den 1. Dezember 2023, von 09:00 bis 15:30 Uhr im Veranstaltungszentrum der Klinik Floridsdorf statt.
Link zur Fachtagung: https://aids.at/fachtagung-1-dezember-2023/
Quelle: OTS