Starker Anstieg bei Suchterkrankungen in Österreich
Foto: MedUni Wien/feelimage
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Foto: MedUni Wien/Manz Verlag
Zunehmende Esssucht für Verbreitung von Adipositas mitverantwortlich
Die Zahl der Menschen mit Suchterkrankungen ist in jüngster Zeit auch in Österreich deutlich angestiegen – und ein Ende dieser Entwicklung ist nicht in Sicht. Vor diesem Hintergrund erscheint das Buch „Sucht. Neue Erkenntnisse und Behandlungswege“ in der Reihe „Gesundheit Wissen“ der MedUni Wien im MANZ-Verlag. Darin setzen Gabriele Fischer und Arkadiusz Komorowski von der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der MedUni Wien überkommenen Denkweisen wissenschaftlich fundierte Fakten entgegen. Neben der Alkoholabhängigkeit und dem Missbrauch von „Neuen psychoaktiven Substanzen“ ist es vor allem die „Esssucht“, die im klinischen Alltag zunehmend Sorgen bereitet.
Die steigende Zahl von Menschen mit Adipositas ist auch in Zusammenhang mit der zunehmenden Verbreitung der Binge-Eating-Störung (BED = Binge Eating Disorder) zu sehen, so die international renommierte Suchtforscherin Gabriele Fischer von der MedUni Wien. Unter BED ist der anfallsartige Verzehr von enorm großen Nahrungsmengen zu verstehen, der infolge von suchttypischen Heißhungerattacken wiederholt und über einen längeren Zeitraum auftritt. Von Esssucht wird dabei auch deswegen gesprochen, weil intensives Verlangen (Craving), Kontrollverlust, kontinuierliche Dosissteigerung, Toleranzentwicklung und Entzugssymptome (insbesondere Reizbarkeit und Aggression bei eingeschränkter Nahrungszufuhr) den klinischen Merkmalen von anderen Suchterkrankungen entsprechen. In bildgebenden Untersuchungen des Gehirns finden sich bei Menschen mit Esssucht zudem ähnliche neurobiologische Veränderungen im Belohnungszentrum (mesolimbisches System), wie sie auch bei anderen Abhängigkeiten etwa von Nikotin, Alkohol, Opioiden oder dem Glücksspiel nachzuweisen sind.
Hunger nach Glück
Aktiviert werden diese Hirnregionen bei BED insbesondere durch zucker- bzw. kohlenhydrathaltige Nahrungsmittel, nach deren Verzehr sich (für kurze Zeit) ein Glücksgefühl einstellt. „Essen stillt in diesem Fall nicht den Hunger, sondern wird zur (vermeintlichen) Steigerung des Glücksgefühls verwendet“, so Fischer. Das Wohlgefühl, das durch erhöhte Dopaminausschüttung ausgelöst wird, lässt jedoch mit der Zeit nach. Betroffene ziehen sich zudem oftmals zu Hause zurück, um ihre Essanfälle möglichst zu verheimlichen. „Ohnehin bereits stigmatisiert durch ihr Übergewicht, quält die meisten Betroffenen ein starkes Schamgefühl“, ergänzt Komorowski. „Dabei ist die Therapie der Esssucht wesentlicher Bestandteil einer erfolgreichen Behandlung von Adipositas.“ Vielfach tritt die Esssucht außerdem gemeinsam mit anderen Suchterkrankungen bzw. psychiatrischen Erkrankungsbildern wie Depressionen oder Angststörungen auf.
Ausbau von Therapieeinrichtungen nötig
Die Entwicklungen von Suchterkrankungen in Österreich erachten Gabriele Fischer und Arkadiusz Komorowski generell als alarmierend: So rückt etwa das Thema Medikamentenabhängigkeit bei den Über-60-Jährigen zunehmend ins Blickfeld. Von Nikotinabhängigkeit sind inzwischen deutlich mehr junge Frauen als Männer betroffen. Und bei der Alkoholabhängigkeit liegt Österreich laut jüngster OECD-Studie weit vorne. 30 Prozent der jungen Erwachsenen konsumieren regelmäßig Cannabis, zudem wird in der jüngeren Generation eine zunehmende Verbreitung von Neuen Psychoaktiven Substanzen (NPS) registriert. Auch nicht-substanzbezogene Süchte wie das pathologische Glücksspiel oder die Computerspielsucht betreffen immer mehr Menschen.
Ungeachtet, ob eine Abhängigkeit von Tabak, Alkohol, Essen, Glückspiel oder Kokain vorliegt, ein nachhaltiger Behandlungserfolg ist nur dann möglich, wenn neben medikamentösen auch lebensstilverändernde Maßnahmen umgesetzt werden. Suchterkrankungen sind chronische Erkrankungen, daher reichen kurzfristige Interventionen nicht aus, betonen Fischer und Komorowski, deren Buch sich an Betroffene, Angehörige und Interessierte richtet. Aufgrund des insgesamt starken Anstiegs an Suchterkrankungen in Österreich sei der Ausbau von professionellen und evidenz-basiert arbeitenden Therapieeinrichtungen innerhalb des öffentlich finanzierten Versicherungssystems dringend nötig, fordern Fischer und Komorowski.
Buchtipp:
„Sucht. Neue Erkenntnisse und Behandlungswege.“ Gabriele Fischer & Arkadiusz Komorowski,
Erscheinungstermin: 06.12.2023, MedUni Wien im MANZ Verlag, ISBN 978-3-214-25406-3, 232 Seiten, 23,90 Euro,
(Vor)Bestellungen unter: https://shop.manz.at/shop/products/9783214254063
Veranstaltungshinweis:
Zur Buch-Neuerscheinung veranstaltet die MedUni Wien zwei Vorträge zum Thema Sucht:
Mo., 04.12.2023, 19 Uhr „Sucht. Wenn das Laster zur Krankheit wird“
Mo., 11.12.2023, 19 Uhr „Sucht und Adipositas“
Vortragende: Gabriele Fischer, MedUni Wien
Ort: Hörsaal der Universitätszahnklinik, Sensengasse 2a, 1090 Wien
Info und Anmeldung: www.meduniwien.ac.at/sucht
Quelle: OTS